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„Du glückliches Österreich.....“

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Es ist noch nicht lange her, da lernten wir und unsere Väter und Großväter auf dem Gymnasium im Geschichtsunterricht den Satz „Bella gerant aJii, tu felix Austria mibe — Laß die anderen Krieg führen, Du, glückliches Österreich, heirate“. Dieser Satz scheint auch heute noch seine Gültigkeit zu haben. Die Wahl vom 1. März beweist es. Während in Afrika und Asien die Waffen sprechen, während in Südamerika, in Italien oft schon chaotische politische Zustände herrschen, hat Österreich einen ruhigen Wahlkampf geführt. Einen Wahlkampf, durch dessen Ergebnis die Wähler den Wunsch ausdrücken, daß die beiden großen Parteien sich wieder vermählen sollen. Durch diese Wahl ist das Kommen einer neuen Großen Koalition so gut wie sicher. Oft wurde diese Wahl als eine Kanzlerwahl bezeichnet, in Wirklichkeit war sie eine Wahl, bei der es um die Frage ging: Große Koalition, ja oder nein. Optisch und zahlenmäßig ist die ÖVP die Unterlegene. Aber die Rolle, die die SPÖ durch zwanzig Jahre gespielt hat, nämlich Mitglied der Regierung zu sein und trotzdem Opposition zu spielen, fällt jetzt der ÖVP zu. Und wenn sie geschickt ist, kann sie hier nicht geringe politische Chancen für sich nützen. Denn eigentlich sind beide Parteien gleich stark. Die SPÖ hat 81 Mandate, ab-stimmungswirksäm nur 80, da sie den Präsidenten des Nationalrates stellt, der nicht mitstimmt. Die ÖVP dagegen hat 79 Mandate. Aller Niedergeschlagenheit bei der ÖVP, aller Siegesfreude bei der SPÖ zum Trotz muß deshalb festgestellt werden, daß sich die ÖVP in dieser Wahl hervorragend geschlagen hat. Sie war immerhin seit 25 Jahren die Partei, die die erste Geige in Österreich spielte, und hat dazu die letzten vier Jahre die politische Verantwortung allein getragen. Eine Partei, die so lange an der Regierung ist, muß einer Abnützung unterliegen. Parteien, die in den angelsächsischen Ländern an der Regierung sind, unterliegen einer viel rascheren Abnützung. Die letzten Landtagswahlen haben außerdem den Eindruck erweckt, daß es mit der ÖVP viel stärker abwärts gehe, als jetzt das Wahlergebnis zeigte. Verglichen mit der Zeit vor der Alleinregierung hat sie nicht so viele Mandate verloren, zwei bis drei. Das Wahlergebnis von 1966 ist kein Paradebeispiel, denn diese Wahl war nur indirekt ein ÖVP-Sieg und in erster Linie eine Anti-SPÖ-Wahl. Die Unbeliebtheit Pittermanns in der eigenen Partei, die Schnitzer, die die SPÖ mit der „Kronen-Zeitung“, mit Olah, mit Fussach gemacht hatte, veranlaßten viele Wähler, der SPÖ einen Denkzettel zu verabreichen. Worauf basiert nun der Wahlerfolg der SPÖ?

Wie immer zeigte es sich, daß die nationalen Wähler lieber rot als schwarz wählen, und als die Leitung der FPÖ aim 16. Jänner erklärte, sie werde nur mit der ÖVP in eine Koalition gehen, erschien es dem Kenner klar, daß viele Mitglieder der FPÖ dies zum Anlaß nehmen würden, der SPÖ ihre Stimme zu geben. Die Stimmen der zerbröselten KPÖ wiederum kamen sicherlich — trotz des eindeutigen Antikommu-nismus Dr. Kreiskys — der SPÖ zugute. Die Wechselwähler, die jetzt bei jeder Wahl schon xund 25 Pro-

zent ausmachen, sind diesmal zur SPÖ übergegangen. Vor allen Dingen war es aber Kreisky, der die SPÖ von einer Arbeiterpartei zu einer Art Volkspartei mit dem Ziele eines modernen Österreich führte, der der Partei den Einbruch in ihr bisher völlig verschlossene Wählerschichten ermöglichte. Diese Verwandlung der SPÖ in eine Volkspartei scheint innerhalb der Partei auf nicht geringe Widerstände gestoßen zu sein, und Pittermann ließ sich zu Äußerungen hinreißen, die man mindestens als äußerst ungeschickt bezeichnen muß. Die Versuchung der Kleinen Koalition scheint auf beiden Seiten gebannt zu sein. Die FPÖ ist zu klein, als daß man mit ihr auch nur halbwegs regieren könnte. Bleibt somit nur die Große Koalition. Damit beginnt eine zweite Versuchung: die Ausschaltung des Parlaments.

Seit Österreich ein Parlament besitzt — immerhin schon über hundert Jahre —, ist dieses von einer seltsamen Tendenz zur Selbstzerstörung beseelt. Während die Parlamente anderer Länder immer versuchen, ihre Macht zu verbreitern und ein Monopol auf die Führung der Politik zu bekommen, hat das österreichische Parlament immer wieder versucht, sich selbst auszuschalten. In der Monarchie schaltete es sich durch die Obstruktion seiner Abgeordneten aus, so daß die Regierung mit den Notverordnungsparagraphen regieren konnte, in der Ersten Republik schaltete es sich durch den gleichzeitigen Rüdetritt seiner drei Präsidenten aus, und in der Zweiten Republik — nun, fast hat man den Eindruck, daß das österreichische Parlament aus seiner Vergangenheit gelernt hat und sich nicht mehr direkt, sondern nur noch in einer sehr sublimierten Form ausschaltete. Während der ersten zwanzig Jahre der Zweiten Republik, da die Große Koalition Österreich regierte, blieb das Parlament formalrechtlich bestehen, sank aber in der Praxis zur Rolle eines Notars herab. Die große Frage der Großen Koalition wird somit wieder lauten: Wird das Parlament neuerlich mehr oder weniger ausgeschaltet oder wird es trotz Großer Koalition ein aktives parlamentarisches Leben geben? Im Untergrund der österreichischen Geschichte laufen zwei Strömungen parallel. Eine barocke und eine jose-phinische. Selten kommt eine allein zum Durchbruch, meist bestimmen beide Motive das Leben Österreichs. Personen, die beide in sich vereinen, wie Franz Joseph, Lueger und Theodor Körner, sind deshalb dem Österreicher besonders sympathisch. Manchmal kommt die eine Komponente stärker zum Durchbruch, manchmal die andere. Nach Figl und Raab war es klar, daß eine josephi-nische Richtung in Österreich wieder stärker zur Geltung kommen müßte. Tatsächlich stellte die Regierung Klaus fast eine Art Frühjose-phiriismus dar. Der Durchbruch der SPÖ zur stärksten Partei ist- ein Symptom dafür, daß für einige Zeit der josephmische Zug Österreichs im Vordergrund stehen wird. Aber durch die Große Koalition wird das barocke Element weiterhin am Geschick des Landes teilnehmen. Bis es wieder einmal die Führung übernehmen wird.

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