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Ein hoffnungsvoller Neubeginn

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Der Beschäftigungsgipfel in Luxemburg war ein Wendepunkt für Europa. Die Schaffung neuer Arbeitsplätze wurde als zentrale Herausforderung erkannt.

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Der Beschäftigungsgipfel in Luxemburg war ein Wendepunkt für Europa. Die Schaffung neuer Arbeitsplätze wurde als zentrale Herausforderung erkannt.

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Der Luxemburger Beschäftigungsgipfel vom vergangenen Wochenende war im Gegensatz zu den teilweise sehr zurückhaltenden bis skeptischen Kommentaren zweifellos ein Erfolg - schon bevor er begonnen hatte. Denn die Beschlüsse, die von den 15 EU-Mitgliedsländern gefaßt wurden und die auf den ersten Blick vielleicht dünn, wenig konkret und kaum zielführend erscheinen mögen, sind nicht das Wesentliche. Es wäre vielmehr naiv gewesen, die Patentlösung für die hohe Arbeitslosigkeit in Europa in Form von zwei oder drei präzisen Maßnahmen zu erwarten, mit deren Hilfe dieses Problem nunmehr auf kurzem Weg behoben werden könnte; diese einfachen Lösungen gibt es nicht, dazu sind die Ursachen des Beschäftigungsproblems zu komplex, zu sehr von diversen strukturellen Verzerrungen überlagert und außerdem von Land zu Land sehr verschieden.

Das Wesentliche war vielmehr, daß ein Sondergipfel der Staats- und Regierungschefs der 15 EU-Länder zu diesem Thema überhaupt zustande kommen konnte. Vor etwa zwei Jahren wäre derartiges noch undenkbar gewesen, einfach weil man eine Erörterung dieser Frage nicht für notwendig gehalten hätte uhdalle diesbezüglichen Vorschläge tauf heftig-., sten Widerstand gestoßen wären.

Einflußreiche Wirtschaftspolitiker und Beamte, insbesondere aus Deutschland und Großbritannien, die auch auf EU-Ebene den Ton angaben, hingen der Vorstellung nach (und tun dies vielleicht immer noch), daß man nur lange und intensiv genug „sparen” müsse, bis sich eines Tages Vollbeschäftigung ganz von selbst wieder einstellen würde.

Jeder Zehnte in der EU ist arbeitslos

Nun soll hier nichts gegen das Sparen gesagt sein - der zweite Teil der Hypothese allerdings, nämlich die wundersame Arbeitsplatzvermehrung dadurch, daß niemand etwas ausgibt, ist jedenfalls nicht aufgegangen und konnte trotz intensiver Suche bisher auch noch nirgends beobachtet werden. Einige Vertreter dieser „Theorie” argumentieren nun, daß dieser Effekt wahrscheinlich nur sehr langfristig, vielleicht in 20 oder 50 Jahren, auftreten werde, was die heutigen Arbeitslosen sicher trösten wird.

So setzte sich unter den europäischen Politikern und Trägern der Wirtschaftspolitik doch allmählich die Erkenntnis durch, daß man den 18 Millionen deklarierten und weiteren sechs Millionen versteckten (das sind diejenigen, die frustriert die Ar -jieitspjatzsuche überhaupt aufgegeben haben) Arbeitslosen doch eine andere Perspektive bieten müsse. Die Beschäftigungsfrage wurde als zentrale Herausforderung für Europa erkannt, deren Nichtbewältigung alle anderen Ziele der europäischen Einigung und das europäische Projekt überhaupt in Frage gestellt hätte, einen Widerspruch zu den eigenen fiskalpolitischen Zielen darstellt und letzten Endes wohl auch eine politische Bedrohung heraufbeschworen hätte.

Man erkannte, daß sich die Europäische Union im Interesse ihrer eigenen Glaubwürdigkeit dieser Herausforderung stellen müsse, wenn sie ihre ehrgeizigen Ziele, nämlich ihren Bürgern materielles Wohlergehen und soziale Mindeststandards zu offerieren, erreichen will. Das Beschäftigungsniveau und die Flexibilität auf den Arbeitsmärkten müßten erhöht werden, ohne die Grundlagen, auf denen die europäischen Gesellschaften (noch) aufgebaut sind, nämlich Solidarität und ein gewisser sozialer Ausgleich, zu zerstören. Der Gipfel sollte die Fähigkeit der Mitgliedstaaten prüfen, angesichts der bevorstehenden Einführung des Euro Wirt-schafts und Beschäftigungspolitik in einer jise zu koordinieren, daß marktwirtschaftliche Prinzipien in einem Maß gewahrt bleiben, wie es für die Behauptung auf den Weltmärkten erforderlich ist, fTäß aber trotzdem die genannte, europäischen Wejte sichtbar bleiben.

Ein Signal setzen

Zieht man solche grundsätzliche Überlegungen in Betracht, so war der Gipfel doch - unter vielen Kompromissen und bloßen Absichtserklärungen - erfolgreich. Die Grundlagen dafür waren schon im Juni des heurigen Jahres auf dem Gipfel in Amsterdam gelegt worden, als es gelang, ein sogenanntes Beschäftigungskapitel als Ergänzung zu den Maastrichter Verträgen zu beschließen. Darin hieß es: „Die Mitgliedstaaten betrachten die Förderung der Beschäftigung als Angelegenheit von gemeinsamem Interesse und stimmen ihre diesbezüglichen Tätigkeiten (...) aufeinander ab.” Es wurde weiters festgelegt, daß beschäftigungspolitische Leitlinien beschlossen und Informationen über erfolgreiche Maßnahmen ausgetauscht werden sollten, sowie daß jährlich Bilanz über das Erreichte und die Einhaltung der Leitlinien zu ziehen sei.

Auf dem Sondergipfel in Luxemburg sollten nun diese Leitlinien diskutiert und konkretere Maßnahmen beschlossen werden. Viel Raum in der Vorbereitungszeit nahm die Frage ein, ob ähnlich wie bei den bekannten Maastricht-Kriterien eine quantitative Festlegung auf ein Reschäfti-gungsziel erfolgen sollte; zum Beispiel „Reduktion der zent beitslosigkeit inaer EU auFsie-ben Prozent bis zum Jahr 2000”, oder wie es in einer anderen Formulierung hieß: „Zwölf Millionen neue Arbeitsplätze innerhalb der nächsten fünf Jahre.” Die Befürworter eines derartig definierten Beschäftigungsziels verwiesen vor allem auf die Signalwirkung, die ein solches für die öffentliche Meinung haben müßte, da damit der Beschäftigung ein gleich hoher Stellenwert wie den anderen Kriterien beigemessen würde. Und offenbar setzen solche quantitativen Zielsetzungen doch sehr viel in Bewegung und erweisen sich als effiziente Instrumente, wie die Umsetzung der Maastricht-Kriterien zeigt. Das war übrigens die von österreichischer Seite vertretene Position.

Die deutsche Seite verwahrte sich hingegen massiv gegen ein quantitatives Ziel sowie überhaupt gegen EU-weite Beschäftigungsinitiativen, vor allem wohl deswegen, weil der ohnehin größte Nettozahler der EU weitere finanzielle Belastungen aus einer solchen Vorgangsweise fürchtete. Es war dem Geschick des Luxemburger Ministerpräsidenten und turnusmäßig derzeitigem Präsidenten des EU-Rates, Jean-Claude Juncker, zu danken, daß hier rechtzeitig Kompromißformeln gefunden wurden, denen nun alle zustimmen konnten. Es wird demnach keine ausgabenträchtigen Beschäftigungsprogramme geben und keine quantitativen Ziele;

Druck durch Wahlen

Alle Mitgliedsländer haben sich aber verpflichtet, auf nationaler Ebene Programme auszuarbeiten, diese bis Frühjahr 1998 vorzulegen und Ende 1998 über deren Umsetzung Rechenschaft abzulegen - nachdem Österreich bekanntlich im zweiten Halbjahr 1998 die EU-Ratspräsidentschaft innehat, wird das übrigens am Gipfel in Wien geschehen, dem solcherart spezielle Bedeutung beikommt.

Sanktionen für mangelhafte Erfüllung der eigenen Beschäftigungsprogramme wird es nicht geben, weil jede Regierung ohnehin die Beurteilung durch die eigenen Wähler fürchten muß, sollte sie hier säumig sein.

Die Klammer, die diese nationalen Programme aber doch in einem EU-weiten Konzept zusammenhalten soll, sind die erwähnten beschäftigungspolitischen Leitlinien, in denen eine sinnvolle Kombination zwischen marktwirtschaftlichen Prinzipien, staatlicher Vorgabe von Rahmenbe-dingungen, arbeitsmarktpolitischem Aktivismus und angebotsseitigen Maßnahmen versucht wird. Diese Leitlinien setzen sich aus vier „Grundpfeilern” zusammen, die hier nur noch kurz aufgeführt werden können:

■ ;Eine -neue'Kultur des Unternehmertums, in der KL (Erleichterung von Unternehmensgründungen, Entwicklung der Märkte für Risikokapital, ein beschäftigungsfreundlicheres Steuersystem);

■ ;eine neue Kultur der Beschäftigungsfähigkeit (Bekämpfung von Langzeit- und Jugendarbeitslosigkeit, Übergang von passiver zu aktiver Arbeitsmarktpolitik, Entwicklung sozialpartnerschaftlicher Konzepte);

■ ;eine neue Kultur der Anpassungsfähigkeit (Modernisierung der Arbeitsorganisation);

■ ;eine neue Kultur der Chancengleichheit (Erleichterung der Rückkehr ins Berufsleben für Frauen u. a.).

Es ist ganz klar, daß diese Konzepte in rlen einzelnen Mitgliedsländern auf völlig unterschiedliche Bedingungen treffen, was auch eine sehr heterogene Umsetzung nach sich ziehen wird. Dennoch scheint es, als wäre mit dem Gipfel zu Luxemburg ein hoffnungsvoller Anfang gemacht; viel wird nun davon abhängen, ob auch politischer Gestaltungswille in ausreichendem Ausmaß vorhanden ist.

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