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Gelähmte Wirtschaftspolitik

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Die gegenwärtige wirtschaftspolitische Situation in unserem Lande ist wenig befriedigend, beinahe täglich wird demonstriert, daß man entweder nicht imstande oder nicht willens ist, eine Wirtschaftspolitik zu treiben, die an die Stelle von Beschwörungsformeln und emphatischem Stabilitätsgerufe den nüchternen Sachverstand setzt. Die geballte Macht der Interessentengruppen ist vor der Wahl stärker denn je, und die Angst vor „wahltaktischen Fehlern“ lähmt die Handlungsfähigkeit.

Die schleichende Geldentwertung hat sich beschleunigt, der Preis-Lohn-Spirale wachsen die Windungen rascher, als es den bisherigen „gewohnten“ Durchschnittswerten entspricht. Auch die saisonbereinigten Verbraucherpreisdndices dürften zur Zeit Steigerungen gegenüber dem entsprechenden Vergleichszeitraum des Jahres vorher zwischen 4 Prozent und 5 Prozent aufweisen, das ist entschieden zuviel. Man könnte sich zwar damit trösten, daß auch in den anderen europäischen Ländern die Geldentwertung rascher geworden ist. Die bevorstehende Wahl veranlaßt die organisierten Interessenvertretungen und vor allem die Parteien zu einer ver-. stärkten Verteilungs- und Versprechungsaktivität und verschüttet die ohnedies bescheidenen wirtschaftspolitischen Möglichkeiten des Interessentenstaates zur Gänze.

Es reicht zur Sicherung der Währungsstabilität nicht aus, sich gegenseitig zu beschuldigen und für die Malaise verantwortlich zu machen, wenn kein Mensch daran denkt, etwas zu tun oder vielleicht besser, zuzulassen, daß etwas getan wird. Eine einigermaßen akzeptable Wirtschaftspolitik ist in dem Moment unmöglich, in dem das wirtschaftspolitische Instrumentarium nicht mehr eingesetzt wfcr8ewkaim. an dresem'Poffkt5sirtd>Wr ahgei.4gt.<<Denrf wer'bräcrTW esl'tn^s-&#171; derzeitigen Situation zuwege, etwa die Handelspolitik einzusetzen? Es müßte ein Wunder geschehen. Auch die Chance, zusätzliche Arbeitskräfte aus dem Ausland nach Österreich zu bekommen, dürfts- unterdessen ebenfalls vertan sein, und überdies gewinnt man den Eindruck, als wäre in der ersten Begeisterung über das nun endlich eroberte Kontingent darauf vereessen worden, daß die „Exportländer“ durchaus zu Recht gewisse Garantien verlangen. Allerdings hätte es genügt, sich ein wenig in unseren Nachbarstaaten umzusehen, dann hätte man schon gemerkt, daß das Mindeste eine garantierte Beschäftigungsdauer von einigen Monaten und eine Unterkunft ist. Aber schon ein Blick in ausländische Zeitungen — Stellenangebote — hätte gezeigt, daß es für Österreich gar nicht so einfach ist, seinen Arbeitsmarkt mit ausländischen Arbeitskräften zu entlasten.

Und wie steht's mit der Finanzpolitik? Nun, der Finanzminister ist andauernd in Abwehrstellung, jeder Versuch, vernünftige und notwendige Maßnahmen durchzuführen, scheitert schon im Ansatz, weil niemand dazu bereit ist, vor den Wahlen noch irgend etwas zu erledigen. Ein typischer Fall ist das zur Diskussion gestellte Konzept zur Förderung der Kapitalbildung. Das zur Beratung dieses Konzepts eingesetzte Kapitalmarktkomitee zeigte wenig Lust, sich noch vor den Wahlen mit einer so heiklen und schwierigen Materie auseinanderzusetzen, dabei läuft Ende 1963 die Bewertungsfreiheit ab, und es wäre höchste Zeit, sich wenigstens grundsätzlich darüber zu einigen, was ab 1. Jänner 1964 geschehen soll Denn immerhin beeinflußt die Bewertungsfreiheit nicht unwesentlich die Investitionsdispositionen und an einei Beibehaltung der hohen Investitionsrate müßten eigentlich alle Pressure-groups Interesse haben; denn ohn< ausreichende Investition ist es mi dem Wirtschaftswachstum vorbei.

Mit Hilfe von finanzpolitische! Maßnahmen restringierend zu wirken ist unter den gegenwärtigen Umstän den, wo die Forderungsmanie gras siert, ein Wunschtraum, darüber muß man sich im klaren sein. Ganz ähnlich steht es mit den Möglichkeiten zum Einsatz des währungspolitischen Instrumentariums. Die Appelle an die Disziplin sind ebenso ungehört verhallt, wie die „Paritätischen Kommission“ trotz Raab-Olah-Abkommen die ihr zugedachten Aufgaben nicht zu erfüllen vermochte.

Aber nachdem die Herbstwahlen 1962 offensichtlich als die großen Geschenkwahlen in die Geschichte der Zweiten Republik eingehen sollen, sind die Forderungen nach wirtschaftspolitischer Aktivität und echten Stabilisierungsmaßnahmen zur Zeit durchaus fehl am Platz. Vorschlagen kann man ja, aber durchsetzen? Wer könnte es auch riskieren, irgendwen zu verärgern. So als ob über die Preis-Lohn-Spirale alle froh wären. Interessant wird auch sein, was mit der gutachtlichen Stellungnahme des österreichischen Institutes für Wirtschaftsforschung zur gegenwärtigen Wirtschaftslage geschieht. Das Institut wird wohl kaum - etwas anderes vorschlagen können als Zulassung verstärkter Importe sowie eine restriktive Finanz- und Wahrungspolitik. Wer soll aber diese vorgeschlagenen Maßnahmen vor der Wahl noch durchsetzen? Dazu bedürfte es einer gemeinsamen Äußerung der gesamten Regierung. Aber vielleicht beruhigt sich unterdessen der Preisauftrieb. Die Wahlpsychose verhindert den Einsatz der vorhandenen Instrumente, dabei würde dies die konjunkturelle Situation dringend erfordern. Im Eifer des Vorwahlgeplänkels wird darauf aber nur wenig geachtet. In den meisten europäischen Ländern ist die Konjunktur seit etwa einem halben Jahr uneinheitlich geworden. In bestimmten begrenzten Bereichen — zum Beispiel in der Grundstoffindustrie, in

Teilen der Investitionsgüterindustrie — zeigen sich Schwächetendenzen, hingegen geht die Expansion der übrigen Wirtschaft weiter, wenngleich in etwas langsameren Tempo als in den Jahren vorher. Ziemlich allgemein zeigt aber für diese konjunkturelle Situation typische Erscheinung: Die Gewinne werden von verschiedenen Faktoren zusammengepreßt. Die Gewinne der Unternehmungen in einer

Volkswirtschaft sind umso besser, je mehr in der Hochkonjunktur Nicht-unternehmer, die öffentliche Hand und das Ausland (aktive Zahlungsbilanz) sich verschulden, umgekehrt sinken die Gewinne, wenn die öffentlichen und privaten Haushalte mehr sparen. Darin liegt ja der restriktive Effekt des Sparens in der Hochkonjunktur.

Konkret auf die österreichischen /erhältnisse übertragen, bedeutet dies olgendes: Der Bund hat sich voriges ahr nicht mehr weiterverschuldet und tuch heuer wird die Staatsschuld kaum vachsen. Damit fällt, gesamtwirt-ichaftlich gesehen, ein gewinnerhöhen-les Moment weg. Dazu kommt, daß lie Budgetkonsolidierung des vergangnen Jahres nicht zuletzt auf Grund ler stark gestiegenen Steuereinnahmen nöglich war. Diese Steuereinnahmen vieder beruhten zu einem guten Teil auf den bedeutenden Zuwachsraten der \rbeitseinkommen, die in der Regel lann am stärksten steigen, wenn die Konjunktur einen vorläufigen Höhepunkt erreicht hat, gewissermaßen an ihrem Scheitelpunkt angelangt ist. Die höheren Kosten auf Grund gestiegener Löhne und Gehälter werden aber um so stärker als Kosteninflation empfunden, je geringer das Wachstum der Produktion wird, weil dann logischer-weise auch die Produktivität weniger steigt, die Löhne und Gehälter über die Arbeitsproduktivität hinausgehen und damit die Arbeitskosten je Produkteinheit zunehmen. Ein Ausweg, um dem Gewinnschwund zu entgehen, liegt in Preiserhöhungen, das ist durchaus natürlich. Die anhaltend hohen Privatausgaben, die Marktformen und überhaupt das gesamte Nachfrageklima sind für dieses Vorhaben in Österreich recht günstig. Mitten in dieser diffizilen konjunkturellen Lage befinden wir uns zur Zeit.

Auch von der Entwicklung der Außenwirtschaft wird'; Ifeser Prozeß erheblich- beeinflußt, Sinkende Exporterlöse- drücken ebenfalls auf die Gewinne, denn die Nachfrage auf ausländischen Märkten ist häufig weniger starr als auf dem Inlandsmarkt, so daß die Exportpreise nur in geringem Maße variierbar sind, daher muß versucht werden, in den Inlandspreisen einen Ersatz zu finden.

Wir haben es daher in Österreich mit einer schwierigen Situation zu tun, die sachgerechter wirtschaftspolitischer Maßnahmen bedürfte. Kosten- und Preissteigerungen müßten so weit wie möglich verhindert werden. Für Interessentenkämpfe ist zur Zeit kein Platz und schon gar nicht für eine wilde Lizitationspolitik.

Dabei ist die gegenwärtige konjunkturelle Situation ja ein Problem von zwergenhafter Größe, verglichen mit dem, was unter Umständen ein Arrangement mit der EWG bringen könnte. Die Abgabe der „Eröffnungserklärung“, die das Arrangementgespräch in Gang bringen soll, wird die erste Bewährungsprobe sein. Der Inhalt dieser Eröffnungserklärung wird nicht unwesentlich den Gang der Dinge beeinflussen. Aber auch in dieser Frage scheint keine Klarheit zu herrschen. Wir, die Österreicher, müssen der EWG genau erklären, was wir wollen, wie weit wir gehen können; wir haben mit dieser Eröffnungserklärung auch der Welt zu zeigen, daß wir es mit unserer Neutralität ernst meinen, aber doch, um die wirtschaftliche Existenz unseres Landes nicht zu gefährden, ein Arrangement mit der EWG anstreben. Das ist eine ungeheuer schwierige Aufgabe, vage Formulierungen in dieser Eröffnungserklärung könnten uns Positionsverluste bringen, die nicht mehr gut zu machen sind. Diese Erklärung müßte das Werk der fundiertesten Juristen, Ökonomen und Politiker sein, die bei uns aufzutreiben sind. Es geht hier nicht um Parteitaktik und Parteivorteile, sondern um eine Lebensfrage, das kann gar nicht nachdrücklich genug betont werden.

Wir haben zur Zeit gar keinen Grund, mit der Wirtschaftspolitik in unserem Lande zufrieden zu sein, wir können nur hoffen, daß die positiver Kräfte letzten Endes stark genug sind: die Situation zu meistern.

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