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Hassan und die Demokratie

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Der alte König Mohammed V. von Marokko hatte den politischen Parteien seines Reiches die Demokratie versprochen. Mohammed war kein moderner Mensch, aber er witterte, was es jeweils zu tun und was es zu lassen galt, um seinem Lande wie sich den Thron zu erhalten. Nicht, daß er ernsthaft sein Königsregiment dem Spiele sich zerfleischender Parteien hätte opfern und sich am Ende von der virulentesten unter diesen, der republikanisch gesinnten sozialistischen Volksunion, doch noch hätte entthronen lassen wollen. König Mohammed war auf seine Art weitblickend und bat sich zwei Jahre Zeit aus, zu überlegen, wie er Demokratie — mit jlleui, was dazu1 ehüu, Vufaisuiigl“

Wahlen, Parlament — einführen könnte, ohne das Heft aus der Hand zu geben. Doch sah er der Sache nicht sonderlich beunruhigt entgegen. Seine Stärke war die mittelalterlichmystische Verehrung, welche er durch die Volksmassen genoß, weil die Franzosen ihn zu Zeiten, da diese noch als Protektoratsmacht in Marokko herrschten, eine Weile ins Exil verschleppt hatten. Mohammed war ein absoluter, jedoch zu unerwarteten, wenn nicht absurden Kombinationen fähiger Monarch. Sogar seine Gegner bedauerten es, als er Anfang 1961 — kaum, daß die Verfassungsidee mit der Zweijahresbedenkzeit verkündet war — .das Zriflinhe segnete. .... —

I

Aufgeklärter Absolutismus

Der zum neuen König ausgerufene Kronprinz und Sohn Mohammeds, Hassan, ist ein moderner Mensch. Gerade dies machte ihn jedoch den Parteien — vor allem den Sozialisten — verdächtig. Außerdem fehlte ihm des Vaters nationaler Heiligenschein. Als gehorsamer Vollstrecker väterlicher Ratschläge und damit auch der von Mohammed in die Welt gesetzten Verfassungsidee aufzutreten, erschien ihm daher tunlich. Tatsächlich freilich gedachte Hassan, der während Mohammeds letzten Herrscherhalbjahrs bereits das Ministerpräsidentenamt ausübte, weder des alten Königs Spielchen mit den Parteien fortzusetzen — dieser hatte die Parteiführer bereits mit Ministerämtern betraut und, wenn sie ihm unbequem wurden, gegeneinander ausgespielt — noch den Parteien etwa gar die Macht zu überlassen. Hassan wollte überhaupt nicht mittelbar regieren, sondern sein Land selbst zum modernen Staate umbauen. Vom Parlamentarismus im Stile etwa der französischen Vierten oder der deutschen Weimarer Republik hielt der junge König wenig, so erklärte sein Informationsminister bald nach dem Thronwechsel. Damit könne man keine und kann man in Nordafrika wahrlich kaum Ziele, gleich welcher Art, erreichen. Der Seitenblick auf de Gaul-les Verfassung „nach Maß“ war deutlich. Hassan vertritt — wie in europäischer Geschichte Bewanderte seiner Anhänger mit logischer Findigkeit unter Hinweis auf den geistigen Unterentwicklungsstand des Cherifen-volks einräumen — eine Art aufgeklärten Absolutismus. Die Parteien und das Volk

Daß Marokkos Volk mit den Parteien überhaupt nichts zu tun hat und gar nicht weiß, was Demokratie und Verfassung ist, wie einige Beobachter tatsächlich behaupten, ist übertrieben. In Wirklichkeit gibt es in Marokko drei, freilich recht verschieden starke Kategorien von Volk. Die erste besteht aus städtischen Arbeitern und Arbeitslosen. Diese gehören meist der Volksunion an, bezeichnen sich als Sozialisten und sind gegen „Machenschaften des Palastes“, wie die Parteiführer der Volksunion Hassans inzwischen veröffentlichtes Verfassungsprojekt abtun, leicht zu mobilisieren. Die zweite Kategorie besteht aus Bürgern der zahlreichen traditionellen Städte — Medinas genannt — und betreiben Gewerbe zwischen magerem Handwerk bis zum profitschwangeren Handel mit Mobilien und Immobilien. Einige haben auch in Europa oder an der von den Franzosen hinterlassenen Rechtsfakultät von Rabat studiert und wissen genau, was eine Verfassung ist. Sie gehören meist zur bürgerlichen Istiklal-Partei. Nachdem ihnen die Sozialisten, welche einmal versucht hatten, dem alten Mohammed die Machr aus den Händen zu winden, Schrecken einjagten, gaben sie jegliche Ambition auf eigene Parteiherrschaft auf und sehen in Hassan den Garanten ihres Daseins. Beide Kategorien machen nur einen bescheidenen Bruchteil des Volkes aus. Die entscheidende dritte Gruppe — etwa 80 Prozent der Nation — besteht im ökonomischen Sinne aus Landproletariat und Stammesviehtreibern, die sich jedoch der revolutionären Sendung, welche Marx und Lenin solchen Sozialschichten vorschreiben, keineswegs bewußt sind, sondern, im Gegenteil, unter der Obhut — die Sozialisten sagen: unter der Fuchtel — einer feudalen Clique von Clan-, Stammes- und Grundherren oder Kaids einen archaischen Gesellschaftskörper bilden. Einige dieser Steinzeitmenschen sind in der berberischen „Volksbewegung“ organisiert, ohne zu wissen, was eine politische Partei ist, von Demokratie und Verfassung ganz zu schweigen. Zu Kriegs- und Intrigenspielen jederzeit animierbar, bedienten ihrer sich seinerzeit schon die Franzosen, später — unter der Parole eines vereinten berberischen Großnordafrika — die algerischen, in den marokkanischen Grenzgebirgen hausenden Aufständischen. Die marokkanischen Sozialisten von der Volksunion hatten ihrerseits — vergeblich- versucht,, sie na.£.h Mao,, Tse-tungs Muster' zu Agrarrevolutionären zu machen.'Seitdem der marokkanische Königspalast den Widerstand des diese eigentlichen „Massen“ Marokkos kommandierenden Landadels gegen die königliche Zentralgewalt brechen konnte, tun — und wählen — sie, was der König ihnen vorschreibt.

Obwohl sich die Sozialistenführer dieser Lage der gesellschaftlichen Dinge in Marokko nach und nach bewußt wurden, hatten sie sich mangels allgemeiner Wahlen bisher ungestraft als eigentliche Partei der Volksmassen und den König als volksfeindlichen Diktator hinstellen können. Daß die am 7. Dezember durchgeführte Volksabstimmung über das königliche Verfassungsprojekt diesen Nymbus zunichte machte, scheint selbst den Parteibossen der Volksunion, die als einzige Partei zum Boykott des Wahl-gangs aufrief, fraglos. Kurz vor dem Plebiszit mußten die überspielten sozialistischen Volkstribunen daher mit einer Korrektur der Parteidoktrin zugleich den marokkanischen Realitäten Rechnung tragen wie sich gegen den erwarteten Abstimmungssieg des Königs abdecken. Man müsse — so verbessern Marokkos Sozialisten die bisher gültige marxistische Begriffswelt — „Massen“, die amorph und politisch umnachtet seien, nicht mit „Volk“ in einen Topf werfen. Unter „Volk“ sei im rechten Sinne nur die „politisch bewußte revolutionäre Elite“ zu verstehen.

„Demokratischeste arabische Verfassung“

Unter dem Vorzeichen der also zum Stimmvieh degradierten marokkanischen Wählermassen freilich verbleibt den Einzelheiten der Verfassung Hassans, welche laut Flüsterpropaganda der Königsfeinde von französischen Rechtsgelehrten zusammengestoppelt wurde, nur noch zweitrangige Bedeutung. In der Tat legalisiert das gesamte Projekt nur die bereits bestehenden Machtverhältnisse. Daß das herrschende Königsregime alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel — die bürgerlichen und feudalen Parteiapparate, Rundfunk, Staatsverwaltung, ja (so laut Volksunion) sogar das Staatsbudget — in wenig demokratischer Weise für den positiven Ausgang des Plebiszits einsetzt, erscheint eigentr lieh überflüssig. Ebenso überflüssig ist es im Grunde, daß die während der Kamapagne zwar unbehelligten, indessen als Opposition gegen den Wind spielenden Sozialisten in ihrer Presse diesen und jenen Verfassungsparagraphen herauspicken, um „in irrenhausreifer Verblendung“ (so die Palastpresse) zu kritisieren, was die ländlichen Stimmassen ganz natürlich finden, nämlich, daß zum Beispiel der König nach wie vor die Regierung ernennt. Im künftigen Parlament dürften die gleichen Königsleute, welche jetzt die Massen zur Abstimmungsurne treiben, des Souveräns getreuen Mehrheitsblock bilden.

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