6678744-1961_34_06.jpg
Digital In Arbeit

Israel: Stabile Instabilität

Werbung
Werbung
Werbung

Am frühen Morgen des 16. August landete ein „Piper-Cub”-Flugzeug in der Kibbutzsiedlung Sde Boker, die sich in dem der Wüste entrissenen Teil des Negev — auf halbem Wege zwischen Tel Aviv und Israels äußerstem Vorposten Eilat — am Roten Meer befindet. Aus dem Flugzeug stieg Josef A 1 m o g i, der Generalsekretär der größten Partei von Israel, der Mapai, Er brachte dem Vorsitzenden der Mapai und bisherigen Premierminister David Ben Gurion, der Sde Boker schon seit längerer Zeit zu seinem Retiro gemacht hat, die Ergebnisse der am Vortag im ganzen Lande abgehaltenen Wahlen in die „Knesset”, ins israelische Parlament. Als der „Alte” die Wahlzahlen vor sich sah, sagte ers „Das ist ein Unglück für den Staat Israel.” Die Zahlen sehen folgendermaßen aus: 120 Mandate gelangten zur Verteilung. Wahlberechtigte: 1,271.647 (1959: 1,218.000). Wahllokale: 2600. Wahlbeteiligung: rund 80 Prozent (1959: 81,6 Prozent).

Wie aus obiger Aufstellung zu ersehen ist, hat die Mapai bei den Wahlen zwar fünf Mandate eingebüßt, ist aber immer noch zweieinhalbmal stärker als die nächststärkere Partei. Worin liegt also das Unglück? Es besteht nach der Meinung des Staatsmannes Ben Gurion darin, daß die Israelis nicht darauf verzichten wollen, außer der Mapai noch 13 andere Parteien zu wählen. (Die vorliegende Liste enthält mehr Parteien, als auf den ersten Blick aufscheinen. So repräsentiert die arabische Gruppe drei, die National-Religiöse zwei und die Agu- dat gleichfalls zwei Parteien. Diese innerpolitische Aufsplitterung besteht schon seit eh und je in Israel — sogar schon vor der Staatsgründung — und hatte nach dieser natürlich ganz andere, gefährlichere Auswirkungen. Die israelische Innenpolitik war dadurch ständig — mit Ausnahme der großen nationalen Gefahrensitu ationen — instabil. Keine der bisherigen Regierungen (außer der vorletzten) war länger als zwei Jahre im Amt (anstatt der vorgesehenen vier Jahre).

Nach Ben Gurions Meinung ist daher schon lange eine Wahlreform in

Israel fällig, welche die gegenwärtige Aufsplitterung beendet. Diese wird vor allem dadurch ermöglicht, daß eine Partei, welche ein Prozent der Gesamtstimmen erhält, damit bereits für ein Mandat qualifiziert ist. Dadurch werden Bestrebungen und Interessen repräsentiert, welche in keinem ausreichenden Verhältnis zu den allgemeinen Fragen und Angelegenheiten des Staates stehen. Für den Beschluß einer Wahlreform bedürfte es jedoch einer Mehrheit von mindestens 61 Mandaten. Diese hat sich bisher nicht gefunden. Und auch nicht bei der eben abgehaltenen Wahl. Die Splitterparteien Israels erweisen sich

— trotz wechselndem, aber nicht sehr bedeutendem Auf und Ab bei den verschiedenen Wahlen seit 1949 — als erstaunlich lebenskräftig und beharrlich.

Die Ursachen dieser merkwürdigen Erscheinung liegen natürlich in der soziologischen Zusammensetzung und in den Traditionen dieser einzigartigsten aller Wählerschaften.

Herkunft und Gruppenschicksal

Ihr erstes Charakteristikum ist, daß weniger als ein Drittel der Wähler im Lande geboren wurde. Die übrigen zwei Drittel kommen aus rund vierzig verschiedenen Ländern der Welt, und zwar aus so differenzierenden Kulturkreisen wie den andeutungsweise hier gruppierten: Rußland, Polen, Rumänien, Ostungarn, Ost-CSSR; westliche Gruppe, vor allem mit Deutschland. Österreich, westliche CSSR. Ungarn. Orientalische Länder, wie Marokko, Algerien, Tunesien, Jemen,

Iran, Irak, Ägypten, Aden. Spaniolische Gruppierung aus dem Balkan, wie Griechenland, Jugoslawien, Bulgarien.

Innerhalb dieser Herkunftsgruppen gibt es sehr entscheidende weltanschauliche und religiöse Teilungen. So kamen und kommen noch immer aus den Ostländern und aus dem Westen junge Menschen, die bereits politisch in verschiedenen Jugendorganisationen und Parteien stark beeinflußt und geformt worden sind. Die Skala begann in früheren Jahren bei der „Linken Poale Zion” (die sich von den Kommunisten nur durch einen Hauch von Zionismus unterschied). Darnach kam der heute links im Vordergrund stehende Haschomer Hazair (Der junge Wächter), der ideologisch dem Austromarxismus mit all dessen Schattierungen von Max Adler bis zum Zentrismus Bauers glich und diese Affinitäten auch nach Israel mit brachte und insbesondere in den Kibbuzim, den Kollektivsiedlungen, verewigte. Diese gruppierten sich in zwei Verbände, die politisch heute von der außenpolitisch auf Zusammenarbeit mit der Sowjetunion hintendierenden Mapam und der neutralistischen Achduth Awodah repräsentiert sind. Beide stehen links von der Mapai. Die Tatsache, daß die ersten zwei Sozialisten repräsentieren, die in den Kibbuzim den Kommunismus bis zum letzten Hemd praktizieren, dieweil die Mapai vor allem „privat” lebende Stadtarbeiter und Angestellte unter ihren Anhängern hat, dürfte Hauptgrund dafür sein, daß die drei sozialistischen Parteien nicht imstande waren, bisher wenigstens, unter ein gemeinsames Dach zu finden. Es gibt jedoch noch außerdem religiöse Arbeiterparteien, welche zu den beiden großen religiösen Koalitionen gehören, von denen noch gesondert berichtet wird.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung