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Selbsttäuschung bis zur letzten Minute

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Mann kann das Vertrauen und die Sympathie seiner Wähler auf verschiedene Art verlieren; Herr Tage Erlander und seine engsten Mitarbeiter in der Führung der schwedischen Arbeiterpartei demonstrierten vor den schwedischen Kommunalwahlen, wie man das Volk sehr wirkungsvoll vor den Kopf stoßen kann. Das obenstehende Interview, im Fernsehen gegeben und nachher von der Zeitung „Expressen“ Tag für Tag durch die wörtliche Wiedergabe hunderttausenden Lesern eingebrannt, ist nicht die schlechteste Methode, den Sessel, auf dem man sitzt, so schnell als möglich loszuwerden.

Über die Ursachen dieser Niederlage wird noch viel geschrieben und gesprochen werden, manches davon wird richtig, anderes zweifelhaft sein, hier soll vor allem anderen auf eine Ursache hingewiesen werden: Das Fehlen jeder Spur eines Gefühles dafür, was man den Leuten sagen, was man ihnen gerade noch zumuten darf! Wahrscheinlich ist es so, daß man einem Volk auch in einem demokratischen Land sehr viel zumuten kann, überschreitet man jedoch die Grenzen des Erträglichen, ja, dann kommt es so, wie es in Schweden kommen mußte!

Es scheint so zu sein, daß ein allzulanger Besitz der Regierungsmacht den Blick für wesentliche Stimmungen im Volke trübt, daß das Gefühl des Hineindenkens verlorengeht. Sonst hätte es nicht geschehen können, daß Tage Erlander noch in der Wahlnacht die sich abzeichnende Niederlage darauf zurückzuführen versuchte, daß das Volk die Eingriffe der Regierung auf dem Kapitalmarkt und ihre anti-inflationistischen Maßnahmen nicht verstanden habe, wo doch die Enttäuschung von hunderttausenden früheren sozialdemokratischen Wählern eindeutig darauf zurückzuführen war, daß es zu keinen wirksamen anti-inflationistischen Maßnahmen gekommen war: Selbsttäuschung über die Ursachen bis zur letzten Minute!

Die Katastrophe

Der Umfang der Wahlniederlage übertraf alles, was einige kritische Beobachter innerhalb der Arbeiterpartei in Stunden des Nachdenkens befürchtet hatten. Im Vergleich zur Wahl von 1962 hat man 8,2 Prozent der Wählerstimmen oder ein Sechstel der früheren Anhängerschaft verloren. Man fiel von 50,4 auf 42,2 Prozent der Wählerschaft zurück. Die Postwahlstimmen werden dieses Ergebnis noch ein wenig korrigieren, doch sicher nicht zugunsten der Arbeiterpartei. Von den 64 neu hinzugekommenen Mandaten in den Stadtvertretungen gewann die Arbeiterpartei nicht ein einziges. Die Konservativen haben—nach den vor läufigen Zählungen — im ganzen Land 11 Mandate verloren (dieses Ergebnis wird durch die Postwahl- stimman zugunsten der Konservativen verbessert werden), die Liberalen gewannen 15 Mandate, die Centerpartei 59 Mandate, die bürgerliche Sammlungspartei (die in der

Hauptsache aus Liberalen und Centerparteileuten besteht), gewann 44 Mandate, die Kommunisten konnten 52 neue Mandate gewinnen, — und die Arbeiterpartei notierte einen Verlust von 96 Mandaten. In Stockholm gingen acht Mandate verloren und zwei weitere sind stark bedroht, hier kann es zu einer bürgerlichen Mehrheit kommen; dasselbe steht in Göteborg bereits fest. Im Landkreis Stockholm ging die sozialdemokratische Mehrheit verloren, und dasselbe geschah in dreißig größeren Städten, die nun von einer bürgerlichen Mehrheit regiert werden. Viele der reichsbekannten „starken Männer“ in den Stadtverwaltungen — die tatsächlich in Schweden über einen sehr großen Einfluß verfügen können, nicht zuletzt auf dem Wohnungsbaumarkt! — werden in der Versenkung verschwinden.

Besonders entmutigend für die Führung der Partei ist es, daß offenbar die jungen Wähler der Partei den Rücken gekehrt haben: Vorsichtige Untersuchungen ergeben, daß kaum 40 Prozent der Erstwähler sozialdemokratisch gestimmt haben! Überträgt man das Gesamtresultat

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