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Tito des Nordens

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Im Lager der Linksparteien des europäischen Nordens geht seit einiger Zeit eine sehr beachtenswerte Wandlung vor sich. Jhr ging zweifellos die Erkenntnis voraus, daß weder die alten stalinistischen Führungsgruppen noch die allzu mos-kautreuen oder gar die Vertreter einer „harten“ Pekinger Linie nennenswerte Chancen haben, größere Gruppen von Anhängern zusammenzuhalten. Die ebenso beruhigenden wie auch politisch dämpfend (oder einschläfernd!) wirkenden Wohlstandsnormen, der wenig aufregende demokratische Alltag und gewisse als unangenehm empfundene Erscheinungen in den benachbarten Ostländern machten den typischen Herrn Svensson oder Jensen des Nordens immun gegen radikale, jenseits der Ostsee gewachsene Parolen. So würde es unumgänglich, die alten unbelehrbaren Führungsgruppen zu entfernen und den Linksparteien ein neues Gesicht zu geben.

Zu Beginn dieser Entwicklung stand die Gründung der Sozialistischen Volkspartei Dänemarks durch Axel Larsen, den die KP wegen seiner Verurteilung des russischen Vorgehens in Ungarn ausgeschlossen hatte. Dieser Ausschluß kostet der alten KP die letzte Position im Parlament und führt die neue SP in eine beachtenswert starke Mittelstellung. Seither stimmt Larser fast immer mit den Sozialdemokraten, bemüht sich zwar, seine Herkunft nicht ganz vergessen zu lassen, nebenbei aber auch regierungswürdig zu werden. Jedenfalls ist es eine ebenso unrichtige wie zu Fehlschlüssen verleitende Behauptung, die SF als eine bloße Ersatzpartei für die KP zu bezeichnen. Die Kommunisten Schwedens wählten vor einigen Wochen eine neue Leitung, ersetzten den alten Stalinisten Hagberg durch den jungen Intellektuellen Hermansson und entfalten nun eine bemerkenswerte Aktivität bei dem Versuch, zu beweisen, daß sie eine neue Partei sind. Jedenfalls wird Hermansson bei den Parlamentswahlen im Herbst für Erlander ein gefährlicherer Gegner sein als der alte Hagberg, der aus seiner moskautreuen Haut nie heraus konnte.

Carl Henrik Hermansson, der die kommunistische Partei Schwedens zu einer Art Sozialistischer Volkspartei nach dänischem Muster — oder möglicherweise nach jugoslawischem Vorbild — machen will, ist mit 46 Jahren der jüngste Parteiführer Schwedens. Hermansson stammt aus Norrland, ist eher bürgerlicher als proletarischer Abkunft und wurde auch bisher als der Repräsentant der intellektuellen Kreise in der Partei angesehen. Er studierte in Stockholm politische Wissenschaften und Nationalökonomie und erhielt 1940 den Rang eines Magisters der politischen Wissenschaften. Hermansson schrieb einige politische Bücher, wurde 1948 Redaktionschef des KP-Zentralorgans ,.Ny Dag“ und 1963 Mitglied der Zweiten Kammer des schwedischen Parlaments.

Den „bürgerlichen Charakter“ des neuen Parteiführers unterstreicht nach Meinung seiner Gegner in der Partei — und auch mancher Beobachter aus anderen Lagern —, daß CHH eine Tochter aus sehr begüterter bürgerlicher Familie geheiratet hat. Frau Märta Hermansson war jedoch schon vof der Heirat überzeugte Kommunistin, sie ist eine geistig sehr wache und auch auffallend schöne Frau, ein Umstand, der im politischen Leben der nordischen Länder (siehe Frau Helle Virkner-Krag in Kopenhagen!) nicht ohne Bedeutung ist. Familie Hermansson hat zwei Töchter, 17 und 20 Jahre alt, und wohnt in einem der teuersten Miethäuser Schwedens, im Diplomatenviertel Gäfdet im Stockholmer Osten.

Die neue Sozialistische Volkspartei Norwegens bereitet nicht nur Gerhardsen, sondern auch den alten Kommunisten — die ebenfalls im Parlament nicht mehr vertreten sind — Viele Sorgen. Nicht zuletzt ihretwegen sah sich nun die KP gezwungen, den chinesenfreundlichen Parteiführer Lövliden abzusetzen und durch den moderneren, wenn auch moskautreuen Jörgen Vogt zu ersetzen. Daß auch im Lager der regierenden Arbeiterparteien die Unruhe nicht verschwindet, es immer wieder zu Kabinettsumbildungen kommt und nun auch Gerhardsen angekündigt hat, daß er mit Ablauf dieser Wahlperiode die Führung der Arbeiterpartei abgeben will, verdient jedenfalls erwähnt zu werden.

Die vielfachen Bemühungen, „liberaler“ und moderner zu erscheinen, führten auch schon zu einigen ansehnlichen Erfolgen: Das Fernsehen der skandinavischen Länder veranstaltete im Jänner eine große Gemeinschaftssendung, in der den Führern der (ob nun wirklich oder nur vorgeblich) neuen Parteien Gelegenheit gegeben wurde, ihren Standpunkt darzulegen. Etwas Ähnliches konnte bisher keine KP des alten Stiles erreichen. Die als Gegenredner auftretenden Sozialdemokraten Olav Brunvand. Norwegen, und Kaj Biörk, Schweden, machter zu allem Überfluß noch einen sehr schwachen Eindruck. Daß sich di Kommunisten von heute im Spiegel-saal des Hotels Grant treffen und gebratene Puten verspeisen, dürft ihnen kaum in diesen Ländern de; Wohlstandes schaden!

Im Norden erwartet man nur eine regionale Konferenz der europäischen kommunistischen Parteien die in einer veränderten Situatior eine neue Taktik finden soll.

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