Zeit der medialen Aufrüstung

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Die Albertina zeigt Beispiele aus ihrer Fotosammlung von 1930 bis heute.

Wenn man bereits seit 1852 Fotografien sammelt und dies in den letzten Jahren mit einer eigenen Abteilung noch forciert, dann möchte man die Ergebnisse dieser Tätigkeit auch präsentieren. Aufgrund der Fülle der bislang zusammengetragenen Arbeiten ist es der Albertina aber unmöglich, alles in einer Schau zu zeigen, daher stellt man im zeitlichen Abstand Ausschnitte aus den Beständen der Öffentlichkeit vor. Was als praktische Lösung sofort einsichtig ist, wirft aber eine fundamentale Problematik auf.

Bekanntlich gilt das Sprichwort "Wer die Wahl hat, hat die Qual" allumfassend, also auch für das Auswählen bestimmter Exponate für eine Fotografieausstellung aus einem reichhaltigen Fundus. Nach welchen Kriterien soll man vorgehen? Nach der Katalogisierungsnummer? Nach dem Eingangsdatum? Oder gar schon computerunterstützt mit einem Zufallsgenerator? Obwohl das auch seine Reize hätte, ist der übliche Weg enger in Kategorien der Kunstwissenschaft gefasst. So lassen sich Zuordnungen nach Genres oder Stilrichtungen treffen, man kann fragen, ob es sich um Dokumentarfotografie, um bildjournalistische Arbeiten oder um Autorenfotografie handelt, oder ob der konzeptuelle Zugang bei der Produktion im Mittelpunkt steht.

Die sieben Werkblöcke, die in der Albertina nun unter einem jeweils bezeichnenden Titel zusammengefasst sind, verdanken sich aber nicht nur derartigen Überlegungen. Janos Frecot, der Kurator der Präsentation, bringt als Schlüsselkriterium die "Anmutung" ins Spiel. Er versteht darunter, "was die Wirksamkeit eines Bildes jenseits seiner nacherzählbaren Botschaft ausmacht, und das sind mitunter die nachhaltiger wirksamen Bildelemente als die erzählend zu fassenden, da sie sich anderer Mittel bedienen", wie er im feinen Katalog schreibt. Die Anmutung gab die Anleitung zur Auswahl unmittelbar aus dem bildnerischen Denken der Fotografie.

"Anmutung" leitet Auswahl

Damit ist die Stärke dieser Schau dargelegt, denn die Anmutung führt auch die Betrachter in Erfahrungsräume der besonderen Art. Freilich, die Anmutung entspringt nicht der bloßen Vorstellungsgabe der Rezipienten, die Anmutung ist vor allem auf das Qualitätsniveau der sichtbaren Arbeiten angewiesen. Ohne Bild keine Anmutung. Ohne diese Sichtbarkeitsgebilde wäre das nunmehr rückblickende Eindringen in die "Epoche der medialen Aufrüstung" der Zeit zwischen 1930 bis heute mit ihrer politischen Propaganda, den Werbewänden für alle möglichen Produkte und die Bilderschwemme aus Fernsehen und Internet nicht möglich.

Von daher ist die Überschrift zu einem Werkblock mit Sichtbare Zeit unmittelbar einsichtig. Wenn hier zum Beispiel Lewis Baltz einen schneeweißen Oldtimer vor einer dunklen Wand positioniert, ereignet sich dieser seltsame Überstieg, dass ein statisches Bild den Zeitfluss anschaulich werden lässt. Das Automobil, per se ein bewegliches Element, bohrt sich mit seiner Blechschnauze in das Dunkel der Hausfront, die jeglichen Ausblick unterbindet. Die Bewegung des stehenden Autos hätte aber gegen die immense Statik des Bauwerkes keine Chance, hätte Baltz nicht auf der rechten Seite einen schmalen Streifen mit Durchblick auf die dahinter liegende Stadt miteingefangen. Ohne diese kompositorische Aufwertung des Kleinen gegenüber dem Großen wäre die aus dem Bild entspringende Anmutung wesentlich schwächer ausgefallen.

Großstadt-Spiegelungen

Die anderen Blöcke zeigen sich nicht weniger anregend. Wenn Lisette Model etwa in ihren Großstadtfotos wie aus einem Kanal herausschauend laufende Beine einfängt oder in einer Schaufensterspiegelung die Bewegung der Passanten und die fokussierenden Blicke der Bewunderer der ausgestellten Waren bildlich aufeinander prallen lässt. Dieser Zugang der kapitalistischen Feel-good-Geschäftigkeit wird in der Serie Stadt, Nacht aufgebrochen, dort kommen die dunklen Seiten unseres Zusammenlebens ins Bild. Daido Moriyama lässt dabei Schatten eine enge Wendeltreppe eines Hinterhofes emporklettern oder Brassaï thematisiert mit seinem berühmten Blick in ein Stundenhotel im Paris der 1930er Jahre den kühlen Machismus europäischer Provenienz.

In den Zwischenwelten von Bauten und Räumen fängt Walker Evans eine Zeile einfacher Holzhäuser ein, vor denen jeweils ein mit sechs Hängeebenen versehener Strommast steht. Ein wunderbarer Kontrast zwischen einfacher Behausung und hochgefahrenem Energieaufwand. Daher lässt Wolfgang Suschitzky auch einen ausladenden Ast mit seinen unübersehbaren Verästelungen über eine darunter liegende Straße ragen. Wie ein Besen möchte der Baum die Asphaltwüste wieder wegkehren, flüstert die Anmutung im Hintergrund.

Bilder zeigen ein Zweifaches, einmal das Motiv, auf das sie sich beziehen, das ist das landläufige Verständnis. Daneben zeigen sie uns aber auch unseren Blick, unser Sehen der Wirklichkeit. Dies in einer Schau nachvollziehen zu können, ist vielleicht sogar der spannendere Aspekt.

Blicke, Passanten 1930 bis heute.

Aus der Fotosammlung der Albertina

Albertina, Albertinaplatz 1, 1010 Wien

Bis 9. 9. täglich 10-18, Mi 10-21 Uhr

Katalog hg. v. Janos Frecot u. Klaus Albrecht Schröder, Wien 2007, 175 Seiten, € 29,-

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