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Demokratie ohne Demokraten?

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DEMOKRATIE OHNE ILLUSIONEN. Ein© Einführung. Von Friedrich Lehne. Verlag für Geschichte und Politik, Wien. 196 Selten. S 81.—.

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DEMOKRATIE OHNE ILLUSIONEN. Ein© Einführung. Von Friedrich Lehne. Verlag für Geschichte und Politik, Wien. 196 Selten. S 81.—.

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Friedrich Lehne, Verwaltungsrichter, Verfassungsrichter, Lehrer und Forscher legt in diesem Buch sein großes Anliegen dar: Für ein besseres, wirklichkeitsnahes Verständnis der Demokratie einzutreten. Jeder, dem dies am Herzen liegt, wird Lehne von Herzen danken. Wir klagen gern über die Demokratie ohne Demokrat !. Und wir klagen gern an. Aber was tragen wir bei zur politischen Mündigkeit, zum politischen Interesse, zum politischen Bewußtsein?

Jede Aktivierung der Demokratie setzt eine Aktivierung der politischen Bildung voraus. Es geht um die Aktivierung des politischen Wissens und des politischen Gewissens. Der einzelne muß politische Ereignisse nicht nur kennen, sondern auch verstehen lernen. Dies setzt einen Bestand politischen Wissens voraus, mit dem die politischen Ereignisse beurteilt werden können. Der einzelne muß in der Lage sein, im äußeren Geschehen gewisse innere Zusammenhänge zu erkennen. Der einzelne muß aber auch aus seiner ethischen Anonymität heraus. Er muß sein politisches Gewissen entdecken. Der Zusammenhang von Ethik und Politik muß bewußt werden. Wir müssen wieder lernen, gleichzeitig das sachlich Richtige und das sittlich Richtige tun zu können (Srnend).

Politische Bildung und Erziehung zur Demokratie fordern sachliches und sittliches Engagement.

Lehne ist ein persönlich Engagierter, der zur Mobilisierung des demokratischen Wissens und Gewissens einen großen Beitrag leistet. Ihm geht es um die Erneuerung der Demokratie. Zu dieser Erneuerung ist die Bewußtseinswerdunig der demokratischen Idee, des Wesens und des Wertes der Demokratie wesentlich. Lehne erläutert den Begriff der Demokratie sehr realistisch. Dem heutigen westlichen Sprachgebrauch des Wortes „Demokratie” entspricht eine Ordnung, „welche die Verantwortung der Staatsgewalt gegenüber dem Volke, das Angewiesensein auf das Einverständnis des Volkes, die Mitwirkung des Volkes bei der Aufrichtung der Rechtsordnung, die Ablösung der Träger der Staatsgewalt in freier Konkurrenz um die Führung, also peaceful change in Meinungsfreiheit, in .Diskussion’ ermöglicht”.

Lehne leugnet auch nicht die Mängel der Demokratie. Aber er ruft die Kritiker der Demokratie zur Besinnung. Sie messen die politische Wirklichkeit von heute an einem Modell, „das nur den einzelnen, seinen Abgeordneten, das Gesetz, die Regierung und ihre vollziehende Gewalt sowie die Gerichtsbarkeit kennt” und halten die Demokratie von heute „durch anonyme Kräfte und Organisationsherrschaft verdorben”. Das Maß für dieses Urteil gewinnt man aber nur im Angesicht des totalen Staates. Das Unbehagen an und in der Demokratie wird auf sein gerechtes Maß gemindert, ..wenn die behebbaren Mängel und die wesensmäßigen Nachteile vor dem Hintergrund totaler Herrschaft betrachtet werden”.

Lehnes große Belesenheit macht es ihm leicht, sowohl in der Sache engagiert zu sein als auch über den Dingen zu stehen. Diese Souveränität ermöglicht es ihm, ein Maximum von Problemen auf einem Minimum von Raum zu behandeln und dies mit einem Optimum an Klarheit. Er war bemüht, „auf einer Zwischenstufe zwischen Wissenschaft und Volkstümlichkeit” zu schreiben. Das Buch kann aber sowohl als wissenschaftlich als auch volkstümlich gelten. Es ist aus einzelnen Vorträgen und Aufsätzen entstanden und trotzdem ein Großes und Ganzes geworden. Und darin zeigt sich die große didaktische und pädagogische Begabung des Autors.

Das Buch umfaßt sechs Kapitel: Von Begriff und Sinn der Demokratie; intermediäre Gewalten von heute; Parlament, Regierungssysteme und Volk; Demokratie und Föderalismus; Recht und Demokratie; das politische Engagement und seine Motive. Lehne selbst hebt hervor, daß er in jedem Kapitel gewissermaßen für ein „Und” eintritt, für eine Vereinbarkeit; im ersten für Führung und Freiheit; im zweiten für Pluralismus und res publica, im dritten für die Rolle der Volksvertretung, des Volkes und der Wissenschaft, im vierten für Demokratie, Föderalismus und Gemeindefreiheit, im fünften für Legitimität und Legalität, im sechsten für Politik und Ethik. Durch dieses Eintreten für ein „Und” weist sich der Verfasser als „irenischer” Mensch aus. Oder besser: Lehne ist Christ und Demokrat. Hoffen wir, daß sein Buch zur Mobilisierung der Christen und zur Mobilisierung der Demokratie beiträgt.

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