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Dollar und D-Mark

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Neuere und jüngere Österreicher pflegen nachsichtig zu lächeln, wenn gelernte Österreicher auf das heikle Problem eines wirtschaftlichen Ausverkaufs Österreichs durch ausländische Unternehmungen zu sprechen kommen. Man fühlt sich da nicht gestört, wenn man erfährt, daß die eine oder die andere Großbank eben wieder ein Unternehmen durch Verkauf eines Aktienpakets an eine deutsche Gruppe „abgestoßen“ hat. Man sieht hier gar kein wirkliches Problem, höchstens eine kommunistische Stimmungsmache. Denn: im freien, einigen Europa spielen gewisse finanzielle Umgruppierungen dieser Art doch keine ernst zu nehmende Rolle. Augenzwinkernd, augenblinzelnd oder eben auch ein Auge zudrückend, übersieht man Tatsachen: in Österreich — nicht abeT in den beiden Protagonisten eines neueren Europablocks —, in der Bundesrepublik Deutschland und in Frankreich.

Dort drüben, im bereits integrierten Europa, macht man sich vor und hinter den Kulissen sehr ernste Sorgen um eine wirtschaftliche Invasion, über deren politische, nicht nur wirtschaftspolitische Möglichkeiten man sich völlig klar ist. De Gaulles vielberedtes Mißtrauen gegen die USA bekundete sich vor wenig mehr als einem halben Jahr in einem offenen Ausbruch. Der bedeutende französische Staatschef gedachte dabei nicht etwa seiner „Behandlung“ in Amerika im zweiten Weltkrieg, sondern einer harten Tatsache unmittelbarer Gegenwart: Chrysler hatte die Aktienmehrheit der französischen Automobilwerke Simca erworben, deren Produktionen sich auch in Österreich einer Beliebtheit erfreuen. Eine angesehene christlich- konservative Wochenschrift der Bundesrepublik Deutschland beklagt soeben in einem Leitartikel den „neuen Dollarimperialismus“ und weist darauf hin: „Die Socony Mobil Oil versucht zur Zeit, die Mehrheit des größten deutschen Montan- und Erdölkonzerns, der Gelsenkirchener Bergwerksgesellschaft, zu erwerben, während ein anderer, ungenannter amerikanischer Käufer den größten deutschen Zellstoff- und Papierkonzern, die Zellstoffabrik Waldhof in Mannheim, unter seine Botmäßigkeit bringen will." Ein östlicher Beobachter könnte angesichts dieser Tatsachen bemerken: Seht da, wie sehr doch Karl Marx recht hat: Die großen Haie verschlingen die kleineren Hechte…

Bleiben wir diesseits und jenseits marxistischer Perspektiven mitten in unserer österreichischen Wirklichkeit: Die Sorgen französischer und deutscher Staatsmänner und Politiker sinį verständlich und berechtigt. De Gaulle sieht ein von Amerika verschlucktes (West)europa. Kleinere Mitgliedstaaten der EWG bangen vor einem Europa, in dem einige Mammutkonzerne die gesamte Wirtschaft dirigieren und einige Mammutunternehmungen die öffentliche Meinung machen. Wir kennen in Österreich die rasante Verbreitung ausländischer Revuen, den Ausverkauf in der Presse, das Übergewicht, das übernommene Sendungen im Rundfunk und Fernsehen gewonnen haben. Wir können — wenn wir wollen — täglich von der Überfremdung unserer Wirtschaft erfahren. Wenn wir die Sorgen anderer Europäer um i h r Europa ernst nehmen, als recht und billig anerkennen, erlauben wir uns im gleichen Atemzug, mit offenem Blick auf unsere Nachbarn, uns selbst ernst zu nehmen: Wir wollen ein Europa als Schutzverband der Freiheit; in diesem freien Europa muß für alle Platz sein, auch für eine österreichische Wirtschaft und für eine österreichische Politik…

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