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Die süße Schere

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Österreich ist auf dem Gebiet des Grundnahrungsmittels Zucker autark. Es gibt weder Importe noch Exporte. Durch * ein detailliertes Vertragswerk zwischen den Rohstofflieferanten, den Rübenbauern, einerseits und der gesamten österreichischen Zuckerindustrie anderseits ist der Zuckerrübenanbau in Österreich und die nachfolgende Zuckerproduktion auf den inländischen Zuckerverbrauch ausgerichtet (Pro-Kopf-Verbrauch um knapp 40 Kilogramm pro Jahr).

Bei Diskussionen über Zuckerprobleme werden vielfach die agrarwirtschaftlichen Zusammenhänge der Rohstoffseite übersehen. Eine Absatzausweitung bzw. Einschränkung bei Zucker bedeutet für den Rü’benan- bauer nicht nur eine Ertragsfrage, sondern darüber hinaus eine äußerst bedeutende Beeinflussung der Agrarstruktur. Die Zuckerrübe nimmt nämlich im Rahmen der Fruchtfolge einen wesentlichen Platz ein und eine Änderung des auf die gesamte Agrarwirtschaft entfallenden Anteiles von Zuckerrübe wirkt sich nachhaltig auf die Bodenfruchtbarkeit und damit auf die Fruchtfolge aus. Vielfach wird aber auch übersehen, daß die Zuckerrübenproduktion als Nebenprodukte wertvolle Futtermittel beziehungsweise Futtermittelbestandeile in Form von Melasse und Rübenschnitten abwirft, was nicht zuletzt deshalb bedeutungsvoll ist, weil Österreich alljährlich viele Millionen für Futtermittelimporte ausgibt.

Eine freiwillige Selbstbeschränkung der Rübenbauem und der Zuckerindustrie hinsichtlich der Zuckererzeugung erfährt einen weiteren wesentlichen Akzent durch die Tatsache, daß der österreichische Staat weder die Rübenproduktion noch die Zuckerproduktion in irgendeiner Form subventioniert. Diese Tatsache verdient beispielsweise deshalb besondere Beachtung, weil immer wieder auf den „billigen“ Schweizer Zucker verwiesen wird, ohne daß in diesem Zusammenhang der vollen Wahrheit Raum gegeben wird: Wohl beträgt der Konsumentenpreis in der Schweiz „nur“

5,33 Schilling pro Kilogramm, doch wird die Schweizer Zuckerindustrie mit jährlich bis zu umgerechnet 240 Millionen S subventioniert.

Der schon oben erwähnte Pro- Kopf-Verbrauch in Österreich von 40 Kilogramm pro Jahr stagniert. Als eine der Hauptursachen sind wohl die mit großem Werbeaufwand propagierten Produkte der chemischen Industrie, die „künstlichen Süßstoffe“ zu nennen.

Eine zweite Gruppe von Konkurrenzprodukten stellen die bekannten natürlichen Süßstoffe, die nicht auf Saccharosebasis beruhen, dar. Hier sind vor allem Dextrose und Fructose zu nennen und eine jährliche Absatzmenge von rund 6000 Tonnen an Stärkesirup mag charakteristisch für das Vordringen dieser Art von natürlichen Süßstoffen in Österreich sein.

Neben der oben dargestellten marktkonformen Produktion und der immer härter werdenden Kon- kurrenzierung durch andere Süßstoffe ist die österreichische Zuckerwirtschaft durch die Tatsache der amtlichen Preisregelung gekennzeichnet. Gerade in der gegenwärtigen Situation, da in den beiden letzten Jahren die Kosten wesentlich angestiegen sind und gleichzeitig der Absatz stagniert, ist die österreichische Zuckerindustrie in eine Preis-Kosten- Schere geraten, die Anfang 1971 Anlaß für einen Antrag auf Erhöhung des amtlichen Zuckerpreises war, ohne daß dieser Antrag bis heute eine Erledigung erfahren hat. Die Nutzung des technischen Fortschritts und die Vorbereitung der Zuckerindustrie auf eine Assoziierung mit der europäischen Wirtschaftsgemeinschaft erfordern auch in den nächsten Jahren einen weiteren erheblichen Investitionsaufwand. Niemand behauptet, daß die Zuckerfabriken ihre Tore morgen schließen müßten, wenn der Preisantrag nicht positiv erledigt wird. Auf lange Sicht gesehen jedoch ist es — von kleinlichen Maßstäben und von engstirnigen Interessen abgesehen — notwendig, die gesunde wirtschaftliche Basis der österreichischen Zuckerwirtschaft und damit die Arbeitsplätze der Arbeiter und Angestellten zu sichern. Maßgebliche Wirtschaftsfachleute aus den verschiedenen politischen Lagern wissen dies ganz genau und niemand in Österreich ist interessiert, die Zahl jener Betriebe zu vergrößern, die schon heute Millionen an Subventionen kosten.

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