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Aufstieg und Stagnation

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Wenn irgendwo, so trifft für die Milchwirtschaft das Wort zu, daß die Götter vor den Erfolg den Schweiß gesetzt haben. Schier unüberwindlich erschienen ja auch die Hindernisse, nach Beendigung der Kampfhandlungen im Frühjahr 1945 die Milchversorgung wieder in einen geregelten Gang zu bringen. Das traf insbesondere für die Bundeshauptstadt zu, die durch die Unterbrechung aller Verkehrswege und durch den Ausfall der erforderlichen Verkehrsmittel von der Lebensmittelzufuhr, vor allem aber von der täglichen Milchanfuhr abgeschnitten war, während im Stadion russische Rinderherden weideten. Die enorm angestiegene Säuglingssterblichkeit auf 345 Promille duldete keinen Aufschub durchgreifender Maßnahmen. Es ist das unbestreitbare Verdienst der im damaligen Oesterreichischen Milch- und Fettwirtschaftsverband tätigen Männer, in der denkbar kürzesten Zeit die notwendige Milch wenigstens für die Kinder und Kranken herbeigeschafft zu haben, obwohl von den 87 Lastkraftwagen, über die die Wiener Molkereien noch im Jahre 1944 verfügt hatten, nur noch zwei Lastwagen und zwei Traktoren zur Verfügung standen. Die Beamten des Milchwirtschaftsverbandes begaben sich also regelrecht auf Rädersuche für die Milchwirtschaft und begannen vor allem im Mühlviertel, das für solche Funde als aussichtsreich bezeichnet wurde, eine Anzahl Wracks von ehemaligen Wehrmachtswagen zu bergen und instandzusetzen. „Das war eine außerordentliche Hilfe“, schrieb darüber die Fachzeitung „Die österreichische Milch- und Fettwirtschaft“ im April 1946, „wenn man bedenkt, daß in diesen Tagen außer der heute noch bestehenden Demarkationslinie noch weitere ... Mauern um die Bezirkshauptmannschaft oder Kreise errichtet waren“. Diese mühselig zusammengestellten Wagen wurden dann die Vorläufer der heute wieder auf allen Straßen laufenden Molkereifahrzeuge und der mächtigen Milchtankwagen, in denen die Milch in kompletten Zügen täglich in die Großstadt rollt.

War es z. B. am 25. Mai 1945 schon ein mühevoll errungener Erfolg, daß erstmalig 5000 Liter Milch von auswärts nach Wien gelangten, so beträgt heute die tägliche Durchschnittslieferung nach Wien 750.000 Liter, während die gesamte durchschnittliche Tagesanlieferung an die Molkereien in ganz Oesterreich mit 2,900.000 Liter beziffert wird.

Durch die Teilnahme am Milchwirtschaftlichen Weltkongreß im Jahre 1949 kamen die österreichischen Milchfachleute erstmalig nach zwölf Jahren wieder mit dem milchwirtschaft-treibenden Ausland in Verbindung und konnten sich von den technischen Fortschritten des Auslandes überzeugen.

Besonders im Interesse der mit Recht wieder geforderten Qualitätserzeugung wurde nun auch die bauliche und maschinelle Erneuerung der Molkereien in Angriff genommen und eine Reihe von Betrieben entweder überhaupt neu errichtet oder grundlegend modernisiert. Seit dem Beginn des Wiederaufbaues wurden für diesen Zweck bereits gegen 400 Millionen Schilling investiert, die insbesondere auch deswegen fruchtbringend angelegt sind, weil mit der betrieblichen Modernisierung auch die Rationalisierung nach den neuesten Gesichtspunkten Hand in Hand geht. Das überzeugendste Resultat der auf diesem Wege und mit Hilfe der im Milchwirtschaftsgesetz vorgesehenen Lenkungsmaßnahmen ist die Tatsache, daß die Spanne zwischen dem Ueber-nahmspreis vom Produzenten zum Verbraucherpreis der Milch, die noch 1937 rund 100 Prozent betrug, auf die Hälfte herabgedrückt werden konnte. Ein solches Preisgefüge, wie es letztmalig im Jahre 1951 aufgestellt und seither unverändert beibehalten wurde, setzt von vornherein die knappsten Kalkulationen voraus und läßt für eine Veränderung der Kostenlage, wie sie sich in der Zwischenzeit durch fortgesetzte Preissteigerungen bei notwendigen Produktionsmitteln aber auch durch Erhöhung der Arbeitslöhne ergeben haben, keinen Platz. Ebenso liegen die Verhältnisse auch beim Bauern. Auch seine Produktionskosten haben nachgewiesenermaßen beträchtliche Steigerungen mitgemacht, die im Milchpreis keine Deckung mehr finden.

Der Verbraucherpreis der Milch von S 2.12 mit der seit 1951 gleich gebliebenen Indexziffer 471 zeigt nicht nur, daß wir in der Milch, gemessen an ihrem Gehalt an wertvollsten Nähr- und Wirkstoffen das beste und billigste Nahrungsmittel besitzen. Der Vergleich mit der Aufwärtsbewegung der Indexziffern anderer Güter und Leistungen zeigt auch, daß die notwendig gewordene Preisregulierung bei der Milch ausschließlich eine Folge längst vorher eingetretener Preissteigerungen bei anderen Wirtschaftsgütern ist.

Die Ausschaltung der Milchwirtschaft aus der allgemeinen Konjunktur durch bewußtes Festhalten an einem überholten Preisgefüge hat die Erfolge eines zehnjährigen Wiederaufbaues bereits in Frage gestellt. Abstoßen von Viehbeständen und begreifliche Scheu, für einen unrentabel gewordenen Wirtschaftszweig Investitionen aufzuwenden, haben zu einem Sinken der Produktionskurve geführt, die schon 1955 namhafte Butterimporte notwendig machte, während wir noch 1954 Butter exportieren konnten.

Es ist notwendig, den Verbraucher von diesen Sachverhalten Kenntnis zu geben, damit er sich darüber ein von politisch gefärbten Einflüssen ungetrübtes Urteil bilden kann.

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