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100 Tage Opposition
Ich akzeptiere mit Vergnügen die Einladung der „Furche“, die mit dem Aufsatz „Drei Monate nach der Koalition“ eröffnete Diskussion über das neue politische System in Österreich fortzusetzen.
Wenn einleitend eine Art „Verschuldensfrage“ für den Ausgang der Regierungsverhandlungen aufgestellt wurde, dann ist für einen sozialistischen Beobachter vor allem die Tatsache interessant, daß die ÖVP die neue politische Konstellation der Alleinregierung einer Partei zwar als großen Fortschritt und Sieg der Demokratie feiert, aber sich keineswegs mit den Lorbeeren dieser Veränderung schmücken will, sondern im Gegenteil bemüht ist, die Verantwortung für das Scheitern der Koa- litionsverhandlungen und die damit verbundenen Veränderungen den Sozialisten zuzuschieben.
Obstruktion?
In der Regierungspartei zeigte man sich aufs höchste überrascht,— und dieser Zustand dauert offensichtlich noch an —, daß die oppositionellen Abgeordneten des „aufgewerteten“ Parlaments jene Rechte und Pflichten auszuüben gewillt sind, die Abgeordneten nun einmal zukommen. Dr. Busek spricht von dem Versuch der Opposition, „alle Möglichkeiten und Lücken des Geschäftsordnungsgesetzes auszunützen, um erste Erfolge der Regierungspartei zu verhindern“. Wie unrichtig, parlamentsfremd, ja unklug ist diese Auffassung! Die sozialistischen Abgeordneten haben sich im Parlament in Verfahrensfragen betont kooperativ verhalten und um expeditive Arbeit bemüht:
• Sämtliche Beschlüsse der Präsidialsitzung1 erfolgten einstimmig;
• sämtliche Sitzungstermine des
Nationalrats wurden einstimmig festgelegt, ebenso dessen Tagesordnungen;
• sämtliche Ausschußsitzungen wurden einvernehmlich und fristgerecht einberufen, einschließlich der unter sozialistischem Vorsitz stehenden Ausschüsse zur fristgerechten Beratung der von der ÖVP gewünschten und vielfach mit knapper Mehrheit beschlossenen Gesetze;
• selbst die eng gedrängten und kurzfristigen Termine der Budgetberatung wurden von der sozialistischen Parlamentsfraktion akzeptiert, um die rechtzeitige Verabschiedung des Budgets zu ermöglichen.
Man ist versucht, zu sagen: Jene Kritiker, die den Sozialisten für die vergangenen 100 Tage Obstruktion vorwerfen, scheinen nicht zu wissen, was es bedeuten würde, wenn eine 74-Mann-Fraktion, die in einem halben Dutzend Ausschüssen die Obmänner stellt, einmal Obstruktion betreiben würde. Was die ÖVP-Frak- tion zu irritieren scheint oder ihr zumindest ungewohnt ist, das ist die Tatsache, daß die sozialistischen Abgeordneten, wie schon erwähnt, jene Rechte in Anspruch nahmen und auch in Zukunft in Anspruch nehmen werden, die im parlamentarischen Getriebe selbstverständlich sein sollten und in anderen Demokratien auch selbstverständlich sind; also das Recht:
1. Ausführlich zu diskutieren und zu den Vorlagen der Regierung kritisch Stellung zu nehmen;
2. Initiativanträge zu stellen und Abänderungen bei den Regierungsvorlagen zu beantragen;
3. Anfragen zu stellen;
4. Auf einem Abstimmungsvorgang zu bestehen, der eine deutliche Unterscheidung der Standpunkte ermöglicht.
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