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Ein Blick „Jenseits der Grenzen"

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„Ein Jahr danach" - also nach den Umwälzungen in der CSFR -sollte der Blick „Jenseits der Grenzen" riskiert werden - doch welcher Blick von hüben nach drüben und welcher von drüben herüber?

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„Ein Jahr danach" - also nach den Umwälzungen in der CSFR -sollte der Blick „Jenseits der Grenzen" riskiert werden - doch welcher Blick von hüben nach drüben und welcher von drüben herüber?

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Doch nicht der scheele Blick aus dem Gefühl der Minderwertigkeit des Eigenen, auch nicht der ver-

stohlene des Neids auf das vermeintliche oder wirkliche Gut des anderen. Auch nicht der freundliche und neugierige Blick, der gerne einmal die eigenen Grenzen auslotet und nur im Gang zu diesen auch zum „Jenseits" gelangen kann.

Gemeint ist der erwartungsvolle Blick, der bereit ist, sich von dem „Jenseits der Grenzen" überraschen und einnehmen zu lassen. Im besten Fall ist es jener Blick, der im Respekt vor den Leistungen und Vorzügen der anderen die positiven Seiten des Eigenen in neuer Perspektive würdigt - womit der Boden für eine bisher nicht gekannte Mög-

lichkeit der Begegnung gelegt ist.

Nicht mehr, aber auch nicht weniger als letztgenannter Blick war das Ziel des ersten Treffens von slowakischen (vornehmlich in Bratislava lehrenden) und österreichischen Philosophen, Historikern, Journalisten und Kunstkritikern, das Mitte Jänner in den Räumen des Katholischen Akademikerverbandes in Wien stattfand. Für Programm und Organisation zeichneten Mitglieder der Institute für Philosophie in Bratislava und in Wien verantwortlich.

Die Historiker unter den mehr als 25 Referenten erinnerten an die vielfältigen wirtschaftlichen, kulturellen und vor allem politischen Beziehungen zwischen der Slowakei und Österreich und stellten ohne jede Nostalgie das Verbindende, aber auch Trennende dar.

Den Philosophen fiel eher die Reflexion auf die jüngste Vergangenheit und die Gegenwart zu, wobei auch die für ostmitteleuropäische Länder neuen Konzepte durchaus differenziert und kritisch beachtet wurden. Die Idee „Mitteleuropa" etwa stößt bei aller Öffnung für den

Westen und besonders für Österreich auf manche Skepsis, weil sie allzu eng auf Wirtschaft fixiert erscheine, während der geistige Hintergrund in der Diskussion meist unberücksichtigt bliebe.

Viele slowakische Wissenschaftler setzten sich zum Teil äußerst selbstkritisch mit ihrer jüngsten Geschichte auseinander und Philosophen aus Österreich beschäftigten sich im Blick über die Grenzen mit dem 1977 verstorbenen Philosophen Jan Patocka und dem langjährigen Dissidenten und jetzigen Staatspräsidenten Vaclav Havel.

Aufgerüttelt hatte beide Seiten Wissenschaftsminister Erhard Bu-sek. In einem beeindruckenden Referat forderte er unter anderem die slowakischen Freunde auf, uns Österreicher und unsere wissenschaftliche Kultur durch die Frage, was das Wichtigste sei, was an den Universitäten vermittelt werden sollte, radikal zum Nachdenken zu bewegen.

Aufgaben bleiben genug - das wurde klar: Etwa die Frage nach dem „anderen", dem „Fremden", den „Vorurteilen" und natürlich

dem „Nationalismus"; die Frage nach einer Ethik der politischen Kultur, nach einer adäquaten Analyse und nach der Beteiligung von Frauen und so weiter.

Der wissenschaftliche Austausch beginnt und soll durch bilaterale oder multilaterale Projekte intensiviert werden. Gastvorlesungen in Bratislava sind bereits selbstverständlich, im Sommersemester findet eine Vorlesungsreihe mit slowakischen Gästen an der Universität Wien statt. Eine nächste gemeinsame Tagung - sie wird ausschließlich dem Thema „Philosophie in Österreich" gewidmet sein - ist in Bratislava vorgesehen. Lediglich die geringe Zahl österreichischer Teilnehmer bildete einen Wermutstropfen bei dieser Veranstaltung.

Begegnung nicht als Selbstzweck und einmaliges Ereignis, sondern als Vorstufe künftiger Entwicklungen - für die Tagungsteilnehmer war dies Gewißheit. Nächste Treffen sind in Planung, eine Publikation der Referate dieser Tagung ist vorgesehen.

Der Autor ist Dozent am Institut für Philosophie in Wien.

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