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Menü der Philosophen

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Vom 2. bis 4. März 1990 ver- Vsammelten sich gut 150 Philo- soph/inn/en aus dem Aus- und In- land an der Universität Wien zu ihrem zweiten Kongreß, veranstal- tet von der „Österreichischen Ge- sellschaft für Philosophie"

Öffentlichkeitsarbeit scheint Philosophen nicht sonderlich zu liegen - das muß wohl (selbstkri- tisch angemerkt werden: Wie sonst ist es zu erklären, daß Medien und

Journalisten von dieser ersten Zu- sammenkunft von Philosophen seit dem Weltkongreß für Philosophie im Jahr 1968 (!) - der 1. Kongreß der erwähnten Gesellschaft fand 1986 in Linz statt - kaum Notiz nahmen? Die Interessierten kamen trotzdem, um sich die Leckerbissen aus einem gediegenen Menü nicht entgehen zu lassen.

Falls der geneigte Zuhörer bereit war, Philosophen nicht von vorne- herein als „Museumswärter" ihres Faches (im Hinblick auf die Ge- schichtsversessenheit) zu etikettie- ren, ihnen nicht (nur) „Konfusions- spezialistentum", sondern zumin- dest auch ein gewisses „Orientie- rungskrisenmanagement" (so Pe- ter Kampits in seiner Eröffnungs- rede) zuzugestehen, konnte er immerhin bemerken, daß in diesen drei Tagen unter dem prätentiös- unpräzisen Titel „Gegegenwarts- philosophie in Österreich" äußerst ernsthaft und selbstverständlich kontroversiell der Frage nachge- gangen wurde, inwiefern Philosohie noch „Liebe zur Weisheit" sein könne.

Es wäre allerdings illusorisch, für die Philosophie an einer Universi- tät, der es an allen Ecken und Enden (nicht nur) an Mitteln fehlt, den paradiesischen Zustand der reinen Unschuld zu fordern, so als ob der Philosoph nicht ein Mensch aus Fleisch und Blut in einer ganz be- stimmten gesellschaftlichen Situa- tion wäre. Diese Ausnahmestellung in politischer und gesellschaftlicher Hinsicht kam der Philosophie nie zu - trotz des Widerspruchs man- cher Fachvertreter.

Im Gegenteil: Philosophie dräng- te und drängt in die Lebenswelt, die sie oftmals so blendend zu ana- lysieren verstand - freilich wird heute Rechenschaft über ihr Tun eingefordert: Eine Evaluierung (Auswertung) sei Voraussetzung für die Schwerpunktsetzung jn der Forschung, danach könne die Zu- teilung der Mittel erfolgen. Mit diesen zwar nicht neuen, aber bei der Eröffnung des Kongresses von Sigurd Höllinger - in Vertretung des Wissenschaftsministers -über- raschend klar formulierten Vorga- ben werden sich alle Lehrenden, vor allem aber die Institute und Universitäten auseinanderzusetzen haben

Die Kongreßteilnehmer, vor al- lem die Referenten, konnten in iher überwiegenden Mehrzahl noch nicht darauf eingehen, zumal das Tief der Philosophie erst seit kur- zem überwunden erscheint - der Unterton „Wozu (noch) Philoso- phie?" - bis vor wenigen Jahren durchaus salonfähig - war diesmal nicht gefragt. Trotzdem tanzte der Wiener Kongreß nicht (um sich), sondern arbeitete - und das äußerst intensiv.

Es war nur ein Großreferat zur Erkenntniskritik (Hans Sluga, Ber- keley) angesagt, der Schwerpunkt des Kongresses lag eindeutig bei themenzentrierten Arbeitskreisen, die sich aufgrund der intensiven Vorbereitung unerwartet großen Zuspruchs erfreuten: Mehr als 30 Referenten setzten sich mit aktu- ellen Problemen der Philosophie in Kognitionstheorie, Psychoanalyse, Frauenforschung, Semiotik, Poli- tik und Religionsphilosophie aus- einander. Die Mehrzahl dieser Re- ferate dürfte - so hoffen die Veran- stalter - auch publiziert werden.

Eine eher traditionell orientierte Form der Kongreßarbeit boten die vielfältigen Beiträge in den vier Sektionen zu „Ethik", „Metaphy- sik", „Geschichte der Philosophie" und „Philosophie und Wissen- schaft". Hier wurde dem Neugieri- gen eine bunte Palette gegenwärti- gen Nach-Denkens vorgesetzt: Themen wie „Philosophieren mit

Kindern", Theorien der „Gesell- schaftsveränderung" , die „Rolle der Literatur in der Philosophie", „Argumente für die Existenz Got- tes", Thesen über den „Agnostizis- mus in der Philosophie" und ande- re boten weiteren 30 Referenten Ge- legenheit, sich der regen Publi- kumsdiskussion zu stellen.

Ein Computer-Workshop am Rechenzentrum der Universität Wien mit der Demonstration der direkten Kommunikation zur Klä- rung offener Fragen mit Teilneh- mern in aller Welt rundete das Angebot ab.

Im Zuge der Öffnung des Ostens war es für alle Teilnehmer höchst befruchtend, mit Kollegen aus Bra- tislava, Zagreb, Prag und Berlin- Ost ins Gespräch zu kommen. Der Kongreß bot die Möglichkeit, eine weiterreichende und längerfristige Kooperation verschiedener Institu- te in die Wege zu leiten.

Insgesamt - dieser Eindruck herrschte deutlich vor - war es kein großer öffentlichkeitswirksa- mer Kongreß, sehr wohl aber eine intensive Arbeitstagung, die vor allem das Gespräch unter den Teilnehmern, die Überwindung von Grenzen und Berührungsäng- sten nicht nur zum benachbarten Ausland hin, sondern auch inner- österreichisch vorantreiben könne.

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