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Kämpfer fiir das Leben

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Viele Menschen wären ohne die Erkenntnisse der Medizin der letzten 150 Jahre rettungslos verloren. Ist uns das, wenn wir „die Schulmedizin" kritisieren, immer bewußt?

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Viele Menschen wären ohne die Erkenntnisse der Medizin der letzten 150 Jahre rettungslos verloren. Ist uns das, wenn wir „die Schulmedizin" kritisieren, immer bewußt?

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Es war in der Weihnachtszeit des Jahres 1846, als für einen jungen Mann namens Frederick Churchill die Lebensrettung kam. Eine eitrige Wunde an seinem linken Bein machte eine Amputation unumgänglich. Am 21. Dezember wagte der Chirurg Robert Liston in London die Amputation unter Äthernarkose. Es war das die er-

ste schmerzfreie Operation, die in Europa durchgeführt wurde, nachdem einige Monate zuvor die neue Methode vom Bostoner Zahnarzt William Morton entdeckt worden war.

Nach Listons geglücktem Versuch trat die Äthernarkose innerhalb kürzester Zeit den Siegeszug durch ganz Europa an. Etwa ein Jahr später gelang dann dem Amerikaner James Young Simpson die Entdeckung der Chloroformnarkose. Das lebensbedrohende Problem aller Operationen war aber noch nicht gelöst. Erst 1867 wurden die tödlichen Gefahren der Wundinfektion durch die von Joseph Lister (1827-1912) eingeführte Antisepsis gebannt.

Daß es so lange dauerte, ist eines der unrühmlichen Kapitel der Medizingeschichte. Um 1850 predigte in Wien Ignaz Semmelweis (1818-1865) seine Erkenntnisse, damals noch von der Fachwelt ve-

hement abgelehnt. Semmelweis' Entdeckung der Ursachen des Kindbettfiebers - die Übertragung der Krankheitserreger erfolgte durch die untersuchenden Ärzte, die zuvor Leichen seziert hatten, ohne danach die Hände zu säubern — wurde vorerst ignoriert. Selbst Lister hatte noch manche Gegner, doch schließlich waren mit Narkose und Antisepsis die Grundlagen für die Entwicklung der modernen Chirurgie geschaffen.

Mit Theodor Bülroth (1829-1894) wurde Wien ein Zentrum der Chirurgie. Er gilt als der Begründer der modernen Magenchirurgie, entwickelte aber auch Operationsmethoden der Schilddrüse.

Anton von Eiseisberg (1860-1939), der 1901 nach Wien kam, legte hier die Grundlagen zu einer effektiven Neurochirurgie. Der Schweizer Theodor Kocher (1841-1917) gilt als der Pionier der modernen Kropfchirurgie. Dem Engländer William McEven (1848-1924) gelang es als erstem Chirurgen, Gehirnabszesse erfolgreich zu öffnen und Gehirnblutungen operativ zu behandeln.

Der Italiener Edoardo Porro (1842-1902) war einer der bedeutendsten Pioniere des Kaiserschnittes, und Edoardo Bassini aus Padua entwickelte als erster eine erfolgreiche Methode der Bruchoperation. Am 9. September 1896 legte der Frankfurter Chirurg Louis Rehn zum ersten

Mal eine Naht am schlagenden menschlichen Herzen und drang damit zu einem bisher unangetasteten Teil des menschlichen Körpers vor.

Die Entwicklung der modernen Chirurgie führt bis zur Implantations- und Transplantationschirurgie der Gegenwart. Knochen-und Gelenksersatz zählen bereits zu Routineoperationen; gute Erfolge gibt es vor allem bei Nierentransplantationen.

Durch die Vermeidung und Bekämpfung der Infektionen, die Möglichkeiten des Blutersatzes, die Verfeinerung der Gefäßtechnik—kleinste Gefäße können miteinander verbunden werden — sowie neueste Methoden (wie etwa die Laserchirurgie) konnten die Ergebnisse ständig verbessert werden; doch nicht nur das Skalpell allein ist eine Waffe gegen den Tod.

„Die entscheidende Verbesserung der hygienischen Maßnahmen, die Beherrschung bakterieller Infektionen sowie die Ausweitung der Impfmöglichkeiten sind echte Meilensteine in der Entwicklung der modernen Medizin", sagt der Wiener Mediziner Professor Karl Spitzy.

Im September 1910 erfuhr die wissenschaftliche Welt von einem neuen erfolgreichen Mittel gegen die Syphilis.

Der deutsche Chemiker und Arzt Paul Ehrlich (1854-1915) hatte ein neues Präparat, das Sal-

varsan, entwickelt.

Am Beginn der dreißiger Jahre gelang dem Bakteriologen Gerhard Domagk (1895-1964) ein Erfolg im Kampf gegen die bakteriellen Infektionen. Durch die Wirkung der Sulfonamide kommt es bei infektiösen Prozessen innerhalb kürzester Zeit zur Genesung.

Zu den größten Triumphen der modernen naturwissenschaftlichen Medizin zählt die Entdek-kung der antibiotischen Substanzen. Das Penicillin, bereits 1928 von Alexander Fleming (1881-1955) entdeckt, wurde Ende der dreißiger Jahre von Howard Florey und Ernst Chain weiterentwickelt. Schließlich wurde es möglich, Penicillinampullen in

jeder gewünschten Menge herzustellen.

Die Entwicklung des Penicillin V, das oral verabreicht werden kann, ist das Verdienst des Tiroler Biochemikers Ernst Brandl (1953). Klinisch erprobt wurde diese neue Form bereits 1955 in Wien (Klinik Spitzy).

Nicht zuletzt war es die Erforschung der Vitamine und Hormone im 20. Jahrhundert, die die Medizin revolutionierte. Von größter Bedeutung war 1921 die Entdek-kung des Insulins (Hormon der Bauchspeicheldrüse) durch Fre-dericf Banting (1891-1941). Man bekam dadurch die Zuckerkrankheit (Diabetes), an der zuvor zahllose Menschen gestorben waren, in den Griff.

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