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Mischung zweier Irrtümer

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Der in Wien lehrende Philosophiedozent Arno Anzenbacher unternimmt es, die die Gegenwart dominierenden Ideologien Liberalismus-Kapitalismus und Marxismus-Sozialismus auf ihre Grundbegriffe zurückzuführen und ihre jeweilige Unzulänglichkeit aufzudecken. Beide erweisen sich als philosophische Primitivpositionen, Spielarten des Nominalismus, gemessen am Niveau der europäischen Sozialphilosophie eines Aristoteles, Thomas oder Kant. Lebendig blieb diese sozialphilosophische Tradition (fast ausnahmslos) innerhalb der Kirche; ein historischer Umstand, um dessentwillen diese Tradition auch als christlichsozialer Standpunkt bezeichnet wird.

Was bedeutet soziale Gerechtigkeit? So lautet die zentrale Frage, die der Autor vom Grundsätzlichen her, also sozialphilosophisch zu be-

antworten sucht. Von daher gelangt Anzenbacher zu einer Kritik des Liberalismus wie des Marxismus. Beide verkürzen das, was soziale Gerechtigkeit heißen kann, auf Teilbedingungen: der eine auf die bloß formale, ihrem Inhalt nach der Willkür überlassene Freiheit des Individuums, der andere auf die zuletzt ökonomisch zu bestimmende strukturelle Gleichheit aller.

Im letzten Kapitel untersucht der Autor aktuelle Themen, wie Demokratisierung, Chancengleichheit und Eigentum, mit dem Ergebnis: Die gegenwärtige sozialdemokratische Politik ist grundsätzlich als Mischung aus marxistischen und liberalen Gedanken zu charakterisieren. Kann aus der Mischung zweier Irrtümer der wahre Begriff sozialer Gerechtigkeit folgen?

Der Anspruch, philosophisch, also für jedermann einsichtig und verbindlich zu argumentieren, ist groß. Um ihn einzulösen, müßte auch die neuzeitliche Problematik des Vernunftrechts eingearbeitet werden. Damit wäre eine wesentliche Vorbedingung erfüllt, die philosophische Soziallehre über das ihr verbliebene christliche Reservat hinaus ins Gespräch und ins Denken zu bringen.

MENSCHENWÜRDE ZWISCHEN FREIHEIT UND GLEICHHEIT. Der

christlich-soziale Standpunkt in aktueller Konfrontation, von Arno Anzenbacher. Verlag Nö Pressehaus, St. Pölten, Wien 1977. 96 Seiten, öS 88,-.

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