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Mittelpunkt — der Mensch

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Sozialphilosophie erfreut sich immer noch eines ziemlich regen Interesses, auch wenn die Frage nach ihrer Legitimierung, die Norbert Leser bereits im ersten Kapitel seines gleichnamigen Buches stellt, sicherlich ebenfalls immer noch virulent ist. Die rasante Entwicklung der Sozialwissenschaften, ihr verfeinertes Methoden- und Forschungs-

Instrumentarium sowie ihre — wenn auch nicht immer geglückte — Anwendung auf die Praxis -scheint sie zuweilen ebenso entbehrlich zu machen wie die Philosophie als solche.

Norbert Leser legt in seinem als Einführung gedachten und aus Vorlesungen an der Universität Wien entstandenen Buch ein ebenso klares wie auch umsichtig entworfenes Plädoyer für die Notwendigkeit der Philosophie ab. Er orientiert sich dabei an der Tradition des antik-christlichen Philosophierens, um diese für die Fragestellungen einer Sozialphilosophie in der Gegenwart fruchtbar zu machen.

Dabei werden die Ansprüche und Zugänge der Sozialwissenschaften keineswegs gering geschätzt. Leser zeigt aber überzeugend auf, daß der Philosophie keineswegs die Rolle einer Lücken büßerin oder eines Zusammenfassens von Einzelwissenschaften zukommt, sondern daß sie als Weisheitslehre auch und gerade im sozialen Bereich unentbehrlich ist.

Zum eigentlichen Bereich der Sozialphilosophie führt Leser in einer Darstellung der Grenzfragen zur Staats- und Rechtsphilosophie sowie des Problems des Verhältnisses zur Geschichtswissenschaft und zur Psychologie. Dabei werden in einer Art „Dialog der Positionen“ positivistische, marxistische und klassisch-philosophische Ansätze diskutiert, wobei es besonders verdienstvoll scheint, daß Leser immer wieder auf die große österreichische Tradition in diesen Fragen zurückkommt, etwa mit Georg Jellinek, Hans Kelsen oder Max Adler.

Die historische Positionen (Individualismus, Anarchismus, Kollektivismus, Totalitarismus) systematisch in ihren Grundzügen aufarbeitende weitere Auseinandersetzung mündet in einer eingehenden Darstellung des Personalismus, dem Leser am ehesten „eine adäquate Behandlung der individuellen Freiheitsrechte, aber auch der Gemeinschaftsrechte“ zugesteht. Leser scheut sich weder vor dem Schlachten heiliger — neomarxistischer — Kühe, noch geht er einer Auseinandersetzung mit dem wissenschaftsgläubigen Positivismus in den Sozialwissenschaften aus dem Weg. Sicherlich, in einer Einführung muß manches thesenhaft und im Umriß bleiben, von dem man sich eine eingehendere Behandlung hätte wünschen können. Aber im Gegensatz zu der manchmal die Grenzen des Erträglichen überschreitenden Theoriebesessenheit der Sozialwissenschaften führt Leser eine Auseinandersetzung immer wieder an die Frage nach dem Menschen zurück.

Lesers Urteile über totalitari- stische Ansätze lassen an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Seine klar formulierte Forderung nach einer Differenzierung in der Faschismusdebatte besitzt nach wie vor höchste Aktualität. Seine genau belegte These, daß Faschismus und Kommunismus als „Parallelphänomene des Totalitarismus moderner Prägung zusammenzufassen sind“ , wird mit jener differenzierten Beweisführung vorgetragen, die sein Buch im Ganzen gegen die Gefahr der Vereinfachung — der Einführungen immer ausgesetzt sind - abschirmt.

Die abschließende, von großer Sympathie getragene Darstellung des aus der christlichen Tradition stammenden Personalismus, verbindet Leser mit einer eingehenden Diskussion der aus dem Sozialismus bzw. der christlichen Soziallehre herrührenden Bemühungen um eine Bestimmung des Gemeinwohls. Demokratischer Sozialismus und christliche Soziallehre scheinen für Leser auch am meisten geeignet, die zukünftigen Probleme der Sozietät zu lösen.

Es ist Norbert Leser gelungen, die emotionelle, ideologiegeladene, aber auch wissenschaftstheoretisch überfrachtete Diskussion um die Sozialphilosophie in einer Hinführung darzubieten, die sowohl den gegenwärtigen Stand der Probleme, wie auch ihren Lösungsmöglichkeiten überlegt und differenziert entspricht.

SOZIALPHILOSOPHIE. Von Norbert Leser, Böhlau Verlag, Wien 1986. 283 Seiten, öS 240,-

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