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Nicht nur Kommunisten eine Gefahr!

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Mit Fahnenschmuck und Trachtenkapelle wurde am Sonntag vormittag bei strahlendem Spätsommerwetter das Europäische Forum Alpbach 1978 eröffnet Diese folkloristische Note gehört ebenso wie der anschließende festliche Eröffnungsakt im Schrödingersaal des Preradovic-Hauses bereits zum festen Alpbacher Ritual, das man jedoch gerade hier nicht gerne missen möchte.

Die heurige Veranstaltung ist den komplexen und vielfältigen Beziehungen zwischen Wissen und Macht gewidmet - ein Thema also, das nicht nur hochaktuell ist, sondern das auch eine lange und große Tradition hat. Man denke etwa nur an die schroffe Entgegensetzung von Geist und Macht, wie sie in den zwanziger- und dreißiger Jahren unseres Jahrhunderts in der damaligen Zivilisationskritik üblich war, oder an das neuerdings wieder vielzitierte Problem der Intellektuellen, das, ausgesprochen oder unausgesprochen, ebenfalls um das Verhältnis von Wissen und Macht kreist und das sich bis zu Platos Idee der Philosophenkönige zurückverfolgen läßt.

Ursprünglich hatte der Veranstalter daran gedacht, die Frage, ob wir uns heute in einer Legitimitätskrise befinden, zur Diskussion zu stellen. Doch ist man später dann von dieser Überlegung wieder abgekommen, weil man befürchtete, durch eine solche noch weitergehende Einengung des Generalthemas die Erörtungen von vornherein in falsche Bahnen zu lenken. So hat man sich schließlich dazu entschlossen, in diesem Jahr die Legitimitätsproblematik im allgemeinen zu behandeln.

Es geht also um das Problem der Rechtfertigung, der „Legitimation“, und zwar für soziale Ordnungen, rechtliche Regelungen aller Art, wirtschaftliche Steuerungsmechanismen samt ihrer institutionellen Grundlagen, aber auch für wissenschaftliche Auffassungen und Methoden, ja um’ die wissenschaftliche Erkenntnis als solche,

die sich heute keineswegs mehr von selbst versteht, sondern in dem Maße, als der wissenschaftlich-technische Fortschritt obsolet zu werden beginnt, selber der Begründung und Rechtfertigung bedarf.

Wissenschaftsministerin Herta Firnberg wies in ihrer Eröffnungsansprache auf die zum Teil sehr radikale Infragestellung des wissenschaftlich- technischen Fortschritts hin, wie sie heute vor allem in den aggressions- und emotionsgeladenen Auseinandersetzungen um die Grenzen des Wachstums und um die Kernenergie zum Ausdruck kommt. „Die Legitimitätskrise der Wissenschaft - Gegenwelle gegen die Wissenschaftseuphorie der fünfziger- und sechziger Jahre - ist nicht weniger gesellschaftlich akut als die Infragestellung von Machtpositionen, wo und bei wem immer sie liegen“, sagte Frau Firnberg wörtlich.

Doch wo liegt die tiefere Ursache dieser Legitimitätskrise der modernen Wissenschaft und der damit verbundenen wachsenden Schwierigkeiten, auch die politische Ordnung unserer westlichen Industriegesellschaften zu begründen und zu rechtfertigen?

In einer brillanten, fast anderthalbstündigen Standortbestimmung des Generalthemas gab der bekannte deutsche Politikwissenschaftler Prof. Richard Löwenthal auf diese Frage eine präzise Antwort.

Es ist nicht zuletzt die akute Kultur- und Sinnkrise, in der sich die westliche Zivilisation gegenwärtig befindet, die diese je länger desto mehr unfähig macht, auf die von den sich rapid verändernden Lebens- und Überlebensbedingungen ausgehenden großen Herausforderungen in schöpferischer Weise zu reagieren; die sie lähmt, sich der im Hinblick auf die Legitimität geradezu lebenswichtige Aufgabe zu unterziehen, die geltenden Normen und Institutionen den neuen Gegebenheiten anzupassen und selbst die Grundwerte im Lichte dieser Erfahrungen neu zu interpretieren.

Wörtlich sagte Prof. Löwenthal: „Wird es möglich sein, den Kem des

Leistungsprinzips, die positive Wertung der Arbeit, nicht in verbalen Formeln, sondern in konkreten Entscheidungen von seiner einseitigen gewinn- und konsumorientierten Verzerrung zu befreien und gerade dadurch zu bewahren und wieder allgemein glaubhaft zu machen? Wird es möglich sein, das angesichts der wachsenden Weltbevölkerung noch immer unentbehrliche Wirtschaftswachstum einer wirksamen öffentlichen Kontrolle zu unterwerfen, die die Rohstoff- und Energievergeudung sowie die Umweltzerstörung zuerst national und scließlich auch international zurückdrängt? Wird es möglich sein, eine funktionierende internationale Ordnung mit Einschluß der notleidenden Mehrheit der Menschheit zu schaffen und die dafür notwendigen Opfer den fortgeschrittenen Industrieländern demokratisch akzeptabel zu machen? Wird es schließlich möglich sein, die in diesem Sinne an Hand der gegenwärtigen Aufgaben neu gedeuteten grundlegenden Werte des Westens in der Erziehung wieder glaubhaft zu vermitteln?“

Eine Reihe bedrängender Fragen, auf die sich heute noch keine eindeutige Antwort geben läßt. Nur eines könne man heute schon mit Sicherheit sagen, meinte Löwenthal: „Scheitert der Prozeß der Anpassung unserer Normen und Institutionen und die Umdeutung unserer Werte, so wird sich die Sinn- und Kulturkrise weiter ausbreiten und die Legitimität unserer politischen Ordnung zunehmend untergraben, bis das demokratische System an mangelndem Wertkonsens zerbricht.“

Die wahrscheinliche Alternative wäre in einem solchen Fall aber nicht die kommunistische Revolution, sondern eine Folge praetorianischer Gewaltregime ohne erkennbares Legitimitätsprinzip - und diese Regime sind, was bereits Oswald Spengler gewußt hat, die natürliche politische Form des kulturellen Zerfalls.

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