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Rückfall in alte Irrtümer

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Das enoucn Degonnene, zur iviarung der geistigen Fronten längst notwendige öffentliche Gespräch über die geistigen Grundlagen, Grundwerte, tragenden Ideen, Gesinnungen und Programme der verschiedenen Gruppierungen und Institutionen unserer Gesellschaft kann so lange nicht gelingen, d. h. sinnvoll geführt werden, wie die Teilnehmer vor der allgemeinen Sprach- und Begriffsverwirrung kapitulieren und aneinander vorbeireden.

Diese Verwirrung ist die nicht überraschende Folge des neuerlichen und sehr weit verbreiteten Rückfalls in die phüosophisch -und wissenschaftlich längst überholten Irrtümer des Agnostizismus, Relativismus und Skeptizismus, deren unzulängliches Menschenbild auch dem heutigen Progressismus, Pluralismus und Demokratismus gemeinsam ist.

Es gilt deshalb zunächst, diesen alten „fortschrittlichen“ Irrtümern so zu begegnen, daß sie vor den wirklichkeitsgerechten Erkenntnissen, Begriffen und Sprachsymbolen jedes wahr- heits- und sinnorientierten, christlich fundierten Gesprächspartners zurückweichen müssen.

Gutes Rüstzeug dafür stellen Wissenschaft, Phüosophie und Theologie in ausreichendem Maße zur Verfügung. Es geht aber nicht vorrangig um die Begriffe und um die Sprachsymbo- le; gewiß ist es von größerer Bedeutung und sittlich mehr entscheidend, daß die „Wahrheit der Seele“ praktiziert wird, als daß man sich einwandfreier Sprachsymbole bedient.

Doch nicht nur schlechte Beispiele, auch schlechte Wörter verderben gute Sitten! Für die Ordnung der Gesellschaft, d. h. politisch ist es durchaus relevant, daß die Glieder einer Gesinnungsgemeinschaft, vor allem deren führende Repräsentanten, auch durch gemeinsame Ausdruckssymbole verbunden sind und mit ihnen ordnend wirken.

Gott als Maß

Der Christ hat eine wohlbegründete Vorstellung vom Menschen, der das Maß der gesellschaftlichen Ordnung sein kann, „weil Gott das Maß der Seele ist“ - „der Weg, die Wahrheit und das Leben“, der Ursprung und das Ziel. Die Hingabe an dieses wahre, überzeitliche, übernatürliche, „transzendente“, „ganz andere“ und doch so wirkliche Absolutum, dessen Sinn sich in allem Denken und in allem Sein spiegelt und unserem Geist die Sinn- Teilhabe, die Wesens- und Wahrheitserkenntnis ermöglicht, unterscheidet und scheidet den Christen von allen Ideologen, das Christentum von jeder Ideologie, von jedem System.

Denn es ist das Wesen der Ideologie, daß sie das Absolute, das „Eschaton immanentisiert“, einen weltlichen, zeitlichen, natürlichen Teüwert, ein partikuläres Interesse zum höchsten Wert, Gut und Maß erhebt, zu einem falschen Absolutum, zu einem Götzen an die Stelle Gottes - daß sie sich als System, als Ersatz-Religion und Religionsersatz anbietet.

Ideologie versucht stets, alle Probleme der Welt und des Menschen von ihrem „Götzen“ her systemimmanent zu erklären und zu lösen, sie ist notwendig totalitär und intolerant. Auf dem Weg zur angestrebten Macht agiert sie, wenn nötig, aus strategi schen und taktischen Gründen extrem pluralistisch und tolerant, ist sie am Ziel, an der Macht, ist es mit Pluralität und Toleranz vorbei.

Dies alles gilt auch für die Ideologie des Sozialismus, der Verabsolutierung und Totalisierung deä Sozialaspekts bedeutet und die personalitätswidrige Beschränkung darauf.

Einzelne christliche Irrläufer im Lager des Sozialismus wollen diese Ideologie zwar nicht als Ersatzreligion sehen, doch sogar Prof. Norbert Leser setzt „Katholizismus“ und „Sozialismus“ als „die wichtigsten geistigen Kräfte unseres Landes“ auf die gleiche Stufe! Ihm ist zu glauben, daß er die Religion als „verbündete Macht“ begrüßen und den Sozialismus vor einer

Funktion bewahren möchte, „die seine Kräfte und seine Kompetenz übersteigt“ (FURCHE vom 10.7.1976). Sein Obmann aber vertritt nicht eine so bescheidene Meinung und traut es dem Sozialismus oder einer großen Kommission der Sozialistischen Internationale durchaus zu, auch die Frage nach dem Sinn des Lebens systemimmanent so zu beantworten, daß diese Ideologie auch als Weltanschauung brauchbar und attraktiv wird.

Und wenn der sozialistische’Klubobmann Dr. Heinz Fischer „die ideologische Substanz des Christentums und die ideologische Substanz der Sozialdemokratie die einzigen größeren Ideen“ nennt, „die in Europa auf längere Sicht relevant sein werden“ (FURCHE vom 20. 11. 1976), so wirkt dies im Lichte des hier angedeuteten kritischen Ideologiebegriffs als blanker Unsinn.

Schon diese wenigen aktuellen Beispiele zeigen, wie viel zur Klärung der Fronten beigetragen werden könnte, wenn die Sprecher der Kirche und die Vertreter der am Christentum orientierten politischen Gruppen sich endlich entschließen könnten, die gleiche Sprache zu sprechen und die Ideologiediskussion übereinstimmend mit diesem historisch und philosophisch gerechtfertigten kritischen Ideologiebegriff fortzusetzen.

Eine solche Konsequenz aus der Wiederbesinnung auf die geistigen Grundlagen der christlichen Gesinnungsgemeinschaft, die zumeist wohl irrtümlich als „Reideologisierung“ gefordert wird, hätte beim Aufbau einer politischen Ordnung, die dem ganzen Menschen mit allen seinen Bezügen zu entsprechen sucht, als „Entideologi- sierung“ die reinigende Wirkung der Entgiftung.

Wer wird dann noch die „Reidologi- sierung“, die Rückvergiftung, wollen?

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