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Schweizer Politspektakel

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Am vergangenen Wochenende entschied sich die Sozialdemokratische Partei der Schweiz (SP) bei einem Mammut-Kongreß mit über 1300 Delegierten und 1500 Gästen aus dem In- und Ausland für den Verbleib in der Landesregierung. Das Resultat fiel schließlich mit 60 zu 40 Prozent gegen den Auszug in die Opposition deutlicher aus, als dies im Vorfeld erwartet worden war.

Der Entscheid der Delegierten auf diesem mit Spannung erwarteten Kongreß ist endgültig. Auf die vieldiskutierte Durchführung einer Urabstimmung unter den rund 50.000 Parteimitgliedern wird verzichtet.

Ausgelöst wurde die Austrittsdiskussion durch die Nichtwahl der offiziellen SP-Kandidatin Li-lian Uchtenhagen, der die bürgerliche Parlamentsmehrheit mit Otto Stich einen Bewerber vor die Nase setzte, der zwar auch Sozialdemokrat ist, aber innerhalb der Vorwahlen in der SP keine Chance hatte (siehe FURCHE Nr. 49 und Nr. 50/83).

Seit jener Wahl (oder eben Nichtwahl) vom 7. Dezember 1983 dominierte die Frage des SP-Auszugs aus dem Bundesrat die innenpolitischen Schlagzeilen der Schweizer Medien wie selten ein Ereignis der jüngsten Geschichte. Befürworter und Gegner der Bundesratsbeteiligung attackierten sich auch innerhalb der zur Debatte stehenden Partei mit einer Härte, die in der Schweizer Politszene, wo fast alles auf Ausgleich angelegt ist, kaum je vorkommt.

Die Fronten innerhalb der SP für den Grundsatzentscheid waren einigermaßen abgesteckt, doch stand das Resultat eines in einer emotionalisierten Atmosphäre stattfindenden Parteitages keineswegs fest. Der Kongreß verlief aber schließlich weniger turbulent als erwartet. In der rund 13-stündigen Debatte wurde recht fair und weniger persönlich diskutiert als im Vorfeld des Parteitages.

Die Parteispitze um Präsident Helmut Hubacher hatte sich klar auf Austritt ausgerichtet. Hinter sich hatte er den ideologisch-intellektuellen Flügel mit vorwiegend jüngeren Exponenten der 68er Generation, während die gewerkschaftlichen Pragmatiker nur in einer Minderheit zu den Austrittsbefürwortern gehörten. Die in kantonalen und kommunalen Regierungen vertretenen SP-Mandatsträger wollten ebenfalls in ihrer großen Mehrheit diese Hebel der Entscheidungsgewalt nicht aus den Händen geben.

Die Gegner eines Austritts verstanden es schließlich, ihre Leute zu mobilisieren. Das Resultat von 773 zu 511 für den Verbleib in der Landesregierung zeigte denn auch die Diskrepanz zwischen Parteiideologen und der Basis auf.

Es bleibt noch zu erklären, weshalb der Austritt einer Partei aus einer Viererkoalition ein derartiges Echo auslöste. In den meisten parlamentarischen Regierungen Westeuropas ist der Wechsel zwischen Regierung und Opposition ein äußerst natürlicher politischer Vorgang. Die Schweiz hat aber eben kein repräsentatives Regierungssystem, das die Gegenüberstellung von Regierung und Opposition begünstigt.

Der Bundesrat stützt sich nicht notwendigerweise auf die Mehrheitsgruppierung ab, sondern sucht Ubereinstimmung. Das System will den Kompromiß, Minderheiten — so die Schweizer Staatsdoktrin — sollen eben nicht zur Opposition werden, sondern zum Ganzen gehören. Zudem bietet die Schweizer Verfassung die Möglichkeit, über Referendum und Initiative das Volksvotum herbeizuführen.

So entscheidet der Stimmbürger allein auf Bundesebene jährlich über bis zu einem Dutzend Sachvorlagen. Das Instrumentarium, als Korrektiv zur Landesregierung, ist also gut bestückt; eine starke Partei in der Opposition ist von daher nicht unbedingt nötig.

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