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Ein neues Paradigma und seine recht trivialen Konsequenzen

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Geist, Triebe und Moral des Menschen rollt Robert Wright von einem resolut neo-darwi-nistischen Standpunkt aus auf. Er vertritt die seiner Ansicht neue Weltsicht der Evolutionspsychologie. Die relativ neue Disziplin befaßt sich mit den gesellschaftlichen Konsequenzen der Evolutionsbiologie. Wright meint, daß sie, wie die Quantentheorie oder die Molekularbiologie, bei dem, der sie versteht, „eine ganz neue Sicht der sozialen Realität zur Folge” habe.

Er führt durch die neo-darwinisti-sche Weltsicht auf ihrem gegenwärtigen Stand. Von Sexualität und Liebe kommt er über den sozialen Zusammenhalt und den sozialen Kampf auf 700 Seiten bis zur Moral. Sie, als höchste Stufe des egoistischen Triebs zur Selbstförderung, ist sein Hauptanliegen.

Ausgangspunkte des neuen Neo-Darwinismus, der keineswegs mit dem rassistisch angehauchten Neodarwinismus der Jahrhundertwende verwechselt werden und schlicht nur noch Darwinismus genannt werden möchte, waren E. 0. Wilsons „Socio-biology ” (1975) und R. Dawkins „Das egoistische Gen” (1976).

Im Gegensatz zu den deutschsprachigen Evolutionsbiologe'h berufen sich die amerikanischen ausdrücklich auf kulturelle Strömungen wie Postmoderne und Dekonstruktion. Wright konstatiert eine parallele Entwicklung und gegenseitige Befruchtung der postmodernen Dekonstruktion und des Darwinismus.

Alle Themen, die er aufgreift, und die Thesen, die er entwickelt, leitet er konsequent mit Darwin-Zitaten ein. Allerdings: „In bezug auf die Sexualität irrte Darwin”. Nicht in allem, versteht sich, keineswegs etwa mit seiner Entdeckung des Prinzips der sexuellen Selektion, sondern „im Irrtum befand sich Darwin mit seiner Ansicht über die evolutionäre Ursache der Sprödigkeit des Weibchens und der Gier des Männchens.” So gesehen, verkörpere nämlich für den Mann „jede neue Partnerin eine sehr reale Chance, noch mehr von seinen Genen in die nächste Generation hinüberzuschaffen”. Hingegen sei „jedes Kind eine äußerst kostbare Genmaschine. Unter darwinisti-schem Aspekt ist es also sinnvoll, daß sich eine Frau wählerisch verhält in der Frage, wer ihr beim Bau der einzelnen Genmaschine helfen soll.” Von da ist es nicht weit zum Schluß: „Das Wesen der häufig unbewußten genetischen Steuerung zu begreifen, ist der erste Schritt zur Einsicht, daß wir alle nur Marionetten sind — nicht nur in sexuellen Dingen, sondern auch in vielen anderen Bereichen.”

Dies öffnet allerdings neue Perspektiven. „Kann eine dar-winistische Auffassung von der menschlichen Natur einem Menschen helfen, sein Lebensziel zu erreichen?” fragt Wright programmatisch und antwortet: „Ja, ja, ja, ja und noch einmal und endgültig ja.”

Zugleich versuchen die Vertreter der Evolutionspsychologie dem Vorwurf auszuweichen, sie würden eine Ideologie propagieren, die sich allzusehr der harten Version des Neoliberalismus annähert. Nach ihrer Auffassung bewirkt der Egoismus der Gene auch die Entwicklung der Freundschaft und des reziproken Altruismus, wodurch „aus zufälligen Genmutationen der einzigartige subtile Sozialkitt der menschlichen Spezies hervorgehen konnte”. Wobei es den Evolutionspsychologen allerdings offenbar genügt, ihre Erkenntnisse aus der Ähnlichkeit des Verhaltens bei verschiedenen Menschen aus den verschiedenen Kulturen unter gleichen Umständen zu deduzieren.

Wie so viele Ideologen, machen auch sie es sich recht leicht, mit auf fertigen Wahrheiten fußenden Gründen ihre Thesen höchst überzeugend zu vertreten - im konkreten Fall: fest an die Macht des Gens zu glauben.

Wright zählt also Beweise dafür auf, daß ab einem gewissen Intelligenzniveau reziproker Altruismus bei den verschiedensten Tierarten vorkommt. „Die Theorie des reziproken Altruismus hält zudem einer sehr elementaren Prüfung wissenschaftlicher Theorien stand: der Prüfung auf Eleganz beaiehungsweise Denkökonomie”. Was weiter nicht zu bestreiten ist. Zweifel erregt eher die These von der Genmutation als Ursache geänderten Verhaltens, die er in seiner Beweisführung nicht untermauert.

Auch bei Themen wie Hierarchie, Dominanz und Unterwürfigkeit ist es für die Evolutionspsychologen schwer vorstellbar, daß es dafür „keine angeborene Grundlage geben sollte”, andererseits aber sei es „nicht so, daß jedes biologisch gesteuerte Verhalten als solches auch schon genetisch determiniert wäre”. Nur seien manche Menschen halt „erblich ungewöhnlich ehrgeizig, intelligent, sportlich, künstlerisch oder sonstwie veranlagt”. Und das war's auch schon?

Übrigens kennen die (Neo-)Darwi-nisten keine falsche Ehrfurcht vor Darwin. Im Gegenteil, indem sie seine moralischen Schwächen sezieren, wollen sie angeblich evolutionspsychologisch seine moralische Größe aufzeigen. Denn gerade in seiner Zielstrebigkeit beim Aufstieg, seinem Karrierismus, seinem Gespür für Allianzen und damit fallweiser Zerstörung von eventuellen Konkurrenten stecke die wahre Moral des Homo sapiens sapiens, eben der „konstruktive Zynismus”.

Der sei übrigens auch bei Freud determinierend gewesen, welcher in vielem Darwin ähnelte, sich auch für einen Darwinisten hielt, es jedoch nicht gewesen sei, denn „Freuds Verständnis der Evolution war in elementaren Punkten falsch”. Dagegen sei „das Beste an Freud sein Gespür für das Paradoxe an unserer Existenz, das darin liegt, daß wir hochgradig soziale Tiere sind: im Kern lüstern, räuberisch und gemeinhin egoistisch, aber gezwungen, in ziviler Gemeinschaft mit anderen zu leben”.

Er schreibt allen Ernstes, die dar-winistische Spielart des Zynismus sei ein noch „radikalerer Zynismus als der Freuds”, also eng verwandt mit dem postmodernen Zynismus, der „die Verzweiflung über die Unfähigkeit der Spezies Mensch, hehre Ideale in die Tat umzusetzen” von sich geworfen habe. So gesehen, könne die Frage nach der Moral „zunehmend kurios wirken”, doch werde das Wort Moral mit der Entwicklung des neuen Darwinismus etwas anderes sein als ein Scherz. Wie schön!

„Sympathie, Empathie, Mitleid, Gewissen, Schuldgefühl, Reue, ja sogar der Gerechtigkeitssinn - sie alle lassen sich jetzt als Ableger der Geschichte des organischen Lebens verstehen.” Damit sei der gesamte moralische Diskurs in Verdacht geraten. Ein Moralkodex sei ein politischer Kompromiß. Moses habe mit seinen zehn Geboten bloß kaltblütig seine Herde besser in Griff bekommen wollen, was aber auch der Herde genützt habe. Das Gleiche gelte für Buddha und alle großen Religionsgründer. Der freie Wille sei eine Illusion, die, uns die Evolution beschert hat.

Doch ist nicht alle Hoffnung verloren. Zwar biete das neue darwinistische Paradigma noch keine Gebrauchsanleitung für eine moralische Lebensführung. Aber eine mögliche (recht triviale) Antwort laute: „Verhalten ä la Darwin. Tu mehr und anderes, als das reibungslos funktionierende Gewissen verlangt: hilf Menschen, von denen du dir aller AVahr -scheinlichkeit nach keine Gegenleistung versprechen kannst, und tu es. im stillen. Unter anderem auf diese Weise wirst du zum wahrhaft moralischen Tier.”

Aber was nützt das demAdressaten? Was sagen dazu seine egoistischen Gene? Bedeutet es Sozialprogramme für Arbeitslose, oder daß ein Konzern eine gewinnbringende Produktion nicht unbedingt an einen noch billigeren Standort verlegen soll, um noch höhere Gewinne zu erzielen? Was ist, in den Augen des Evolutionspsychologen, der neoliberale Sieger dem Unterlegenen schuldig? Und was die Evolutionspsychologie dieser Gesellschaft? Trotz aller Distanzierungsver-suche: Das Buch ist eher ein Beitrag zur Legitimierung des gegenwärtig herrschenden Unternehmens-Egoismus und einer Ideologie der sozialen Kälte als ein Beitrag zu ihrer Kritik.

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