Henk van Houtum: "Die Außengrenze der EU ist zur tödlichsten Grenze der Welt geworden"
Die EU formiert sich zur „gated community“, sagt Henk van Houtum, Gründer und Koordinator des Nijmegen Center for Border Research (NCBR) und Uni-Professor für Politische Geografie im niederländischen Nimwegen. Über grenzenlosen Zynismus, Mauern aus Papier und Deals mit Diktatoren.
Die EU formiert sich zur „gated community“, sagt Henk van Houtum, Gründer und Koordinator des Nijmegen Center for Border Research (NCBR) und Uni-Professor für Politische Geografie im niederländischen Nimwegen. Über grenzenlosen Zynismus, Mauern aus Papier und Deals mit Diktatoren.
Seit 25 Jahren beobachtet der Geopolitologe Henk van Houtum die Grenzpolitik der Europäischen Union. Sein Urteil ist ernüchternd: Zentrale Themen wie die Visa-Politik bleiben unterbelichtet, stattdessen wird eine legale Einreise durch Abschottung verunmöglicht. Ein Gespräch über Werteverrat, Abschottung und salonfähigen Illiberalismus.
DIE FURCHE: Einst wurden Sie bei einer Veranstaltung als „Grenz-Professor“ angekündigt. Was hat sich an den Grenzen der EU im Lauf der Zeit verändert?
Henk van Houtum: Die EU-Grenzpolitik hat sich stark verschärft, ist immer tödlicher geworden. Die Gewalt an den Außengrenzen hat zugenommen, und die Debatte verhärtete sich. Das hat einen Bumerang-Effekt: Genau die rechtsstaatlichen Werte, welche die Grenzpolitik eigentlich schützen soll, geraten dadurch unter Druck.
DIE FURCHE: Inwiefern?
Van Houtum: Durch den Umgang mit Flüchtlingen und der Flüchtlings-Konvention; durch Abkommen zur Flüchtlings-Abwehr, die mit Diktatoren geschlossen werden; durch menschenunwürdige Zustände in Flüchtlingslagern, die bewusst zur Abschreckung geschaffen werden; durch Boote, die gesetzeswidrig zurückgedrängt werden. Das schützt die EU nicht und tut Migranten Unrecht an – aber auch den eigenen Werten.
DIE FURCHE: Wie erklären Sie sich die Tendenz, die Grenzen der Europäischen Union immer weiter nach außen zu verlegen?
Van Houtum: Beim Thema Migration schottet sich die EU gegenüber dem Rest der Welt zunehmend ab. Sie wird zu einer Art „gated community“. Gegenüber dem „Alle Menschen werden Brüder“ aus der EU-Hymne ist das schon einigermaßen zynisch. Das beginnt allerdings nicht mit den heutigen Deals mit Diktatoren. Diese sind vielmehr eine Folge der EU-Visum-Politik. Diese ist und bleibt die erste und am schwersten zu überwindende Mauer der EU-Grenzpolitik, auch wenn sie aus Papier ist und sich die Kameras gerne auf Gewehre, Patrouillenboote und Grenzzäune richten. In der Debatte um Migration und Grenzen bleibt sie unterbelichtet.
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