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Nach der Badesaison Austerity

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Mit der zahlenmäßig stärksten Regierung decr Nachkriegszeit ist Emilio Colombo vor das Abgeordnetenhaus und den Senat getreten, um noch vor dem Höhepunkt des Feragosto, dem Feste Maria Himmelfahrt (15. August), das Vertrauer der beiden Kammern zu erhalten. Wird der Sitzanteil im Parlament zum Maßstab genommen, so sind die kleineren Parteien der Linkssozialisten, Sozialdemokraten und Republikaner in der Regierung stark übervertreten, die größere Democrazia Chrnstiana hingegen erheblich untervertreten. Die Democrazia Christiana bezahlt also personell die Rechnung für die Koalitionspartner, indem sie verhältnismäßig weniger Leute mit Italiens bestbezahlten Staatsstellen versorgen konnte. Dafür stellt sie einmal mehr den Regierungschef, wie seit 23 Jahren ununterbrochen.

Der Intention nach ist Colombos Kabinett eine stabile Regierung, die bis zum „natürlichen“ Ende der fünften Legislatur dauern sollte; kommt es nicht vorher zu Neuwahlen, finden die nächsten Parlamentswahlen im Frühjahr 1973 statt. Daß Colombo vor dem Parlament für eine Regierung auf Legislaturdauer eintrat, versteht sich nicht von selbst. Es gab italienische Kabinette, die vor dem Feragosto für kurze Zeit gebildet wurden. Zu diesen geschäftsführenden „Regierungen auf Abruf“ gehörten die beiden christlichdemokratischen Minderheitskabinette Leone (1963 und 1968). Auch Rumors Kabinett vom vergangenen Sommer wurde nur zur Überbrückung einer parteipolitisch ungeklärten Situation aufgestellt und trug ebenfalls den Spitznamen „Sommer-“ oder, noch ärger, „Badesaison-Kabinett“. Wenn Colombo nun etwas besseres vorbat und den Centro Sinistra als „einen Regierungskurs noch voller Möglichkeiten“ bezeichnet, so hat die Vertrauensdebatte gleich von allem Anfang an die Fragwürdigkeit dieses Bekenntnisses zur Stabilität vor Augen geführt. Selbst aus dem Kreis der Regierungsparteien meldeten sich etwelche Zweifel an. Der christlich-demokratische Politiker Greggi bedauerte, daß sich Colombo über die Ehescheidungsfrage, die immer noch im Senat zur Debatte steht, in der Regierungserklärung ausgeschwiegen hat. Wird Colombo in der Replik nicht Stellung dazu beziehen, so sieht sich Greggi genötigt, dem neuen Kabinett sein Vertrauen zu versagen.

Wenige bestreiten, daß die politische Stabilität das A und O einer Gesundung der italienischen Wirtschaft und des sozialen Fortschrittes ist, doch besteht die Gefahr, daß diese ersten und wichtigsten Ziele der neuen Regierung bei der Verfolgung irgendwelcher Sonderinteressen der Partei und der Parteiströmungen plötzlich außer Acht gelassen werden und das erste Kabinett Colombo darob bereits nach kurzer Zeit, vielleicht noch vor Abschluß der Badesaison, zu Fall kommt. Bezeichnete Colombo die Abwertung 'der Lira als „großen Fehler“, so stellte er anderseits wirtschaftliche Dringlichkeitsmaßnahmen in Aussicht, die er allerdings nicht beim Namen nannte. Da die nächste Mini-sterratssitzung bereits auf den 18. August angesetzt war, die Kabinettsmitglieder also nur dreitägige Feragosto-Ferien nehmen konnten, sind jetzt diese Maßnahmen, die bereits innerhalb einer Woche erlassen wurden, in aller Munde. Einmal mehr tritt das Schreckgespenst einer neuen erheblichen Benzinpreiserhöhung auf, die Italien den teuersten Treibstoff ganz Europas bescheren würde.

Nachdem die Tankwartegewerkschaft Wind von der geplanten Ben-zinpreiserhöhung erhalten hatte, drohte sie — vorsorglich bereits jetzt — mit einem Streik. Ihr Schlachtruf: „Wenn der Benzinpreis ohnehin erhöht wird, dann soll er so hinaufgesetzt werden, daß auch für uns etwas vom Kuchen abfällt!“ Die Tankwarte vertrauen wie eh und je darauf, daß die Autofahrer auch diese zusätzliche Belastung auf sich nehmen werden. Die Erfahrung lehrt tatsächlich, daß die Benzinpreiserhöhung auch in Italien zu keiner dauernden Bedarfsschrumpfung führt. Der Italiener verzichtet vielleicht auf ein Stück Fleisch, niemals aber auf den Einsatz seiner verlängerten Beine. 9,5 Mßlionen besitzen ihren eigenen Wagen und die mehrmaligen Benzinpreiserhöhungen haben die Ausweitung des italienischen Wagenparks kaum beeinträchtigt

Was auch immer Colombo sich bei der Verkündung seiner „Austerity-Politik“ dachte — neben dem Treibstoff eine erheblich heraufgesetzte Verkaufssteuer für Luxuswagen und andere „Strafmaßnahmen für die Reichen“ — er tat nach Ansicht der meisten politischen Beobachter gut daran, die Dinge nicht beim Namen zu nennen. Hätte er die Einzelheiten nicht verschwiegen, wer weiß, ob sein Kabinett angesichts all dieser unbeliebten Dringlichkeitsmaßnahmen noch eine Chance hätte, die Zustimmung einer Mehrheit der beiden Häuser zu erhalten.

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