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Apothekerschaft und Krankenkassenfrage

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Die Darstellung der Krankenkassenfrage durch H. Heidenbauer (vergl. „Furche“ Nr. 3 vom 14. Jänner 1950), hat in Fachkreisen ein lebhaftes Echo ausgelöst. Im nachstehenden legt ein Autor aus Apothekerkreisen die Sorgen und Schwierigkeiten seines Standes in dieser Frage dar.

„Die österreichische Furche“

Der Zusammenbruch des Jahres 1945 hat, wie der Autor in der „Furche“ in anerkennenswert offener und sachlicher Weise feststellt, eine gesellschaftliche Strukturverschiebung mit sich gebracht; sie führte in den darauffolgenden Jahren zu den Mißverhältnissen, welche die Krankenkassen heute zu notleidenden sozialen Einricritungen gemacht haben. Die Inanspruchnahme durch den Pflichtversicherten, für den die Krankenkassen ursprünglich geschaffen wurden und auch da sein sollten, ist erst in den letzten beiden Jahren im Zeichen der allgemeinen Geldverknappung auf ein zugegebenermaßen hohes Ausmaß gestiegen; dazu sollten eben die in den vorhergegangenen „guten“ Jahren bei allen österreichischen Krankenkassen geschaffenen, sehr beträchtlichen Reservefonds vorhanden sein. Die Sozialversicherungsträger haben sich aber, gestützt auf und beeinflußt durch eine bekannte parteipolitische Taktik der Machtvergrößerung und Verstaatlichungstheorie, in Projekte des Ausbaues eigener Krankenanstalten, Ambulatorien und Apotheken gestürzt, die auch die finanziellen Kräfte der größten Krankenkassen bei weitem übersteigen.

Im Jahre 1945 waren die Krankenkassen durch den Verlust der Reichsmarkkonten und -guthaben tatsächlich so notleidend geworden, daß sie sich von der gesamten österreichischen Apothekerschaft durch ein Notopfer von 1 Million Schilling helfen lassen mußten; als Dank dafür sah sich jetzt dieselbe staatliche Einrichtung — nun wieder genügend kapitalskräftig geworden — veranlaßt, die für 1 Million Schilling verkäufliche Konzession der total zerstörten Alten Feldapotheke in Wien mit 1,2 Millionen Schilling zu überbieten und tatsächlich zu erwerben. Weitere 4 bis 5 Millionen Schilling sollen noch zum Ausbau dieser kasseneigenen Apotheke aufgewendet werden. Gleichzeitig gibt die Wiener Gebietskrankenkasse einen Jahresbericht in Buchformat heraus und weist darin einen Abgang von über 23 Millionen Schilling aus. Begreiflicherweise sind nun Einsparungen notwendig, und zu diesem Zweck werden unpopuläre Maßnahmen ergriffen: Spitalskosten, Stillprämien und Sterbegelder werden 'gekürzt, der Medikamentenbezug 'Wird durch Herausgabe sogenannter „Verbotslisten“ eingeschränkt. Der Kranke muß nun Zeit, Kraft, Gesundheit und Geld aufwenden, bis er nach stundenlangem Anstellen beim Schalter einer Krankenkasse den begehrten chefärztlichen Stempel bekommt. Mir sind Fälle bekannt, daß dem

Patienten gegen die Absicht des behandelnden Arztes ein anderes, billigeres Medikament vorgeschrieben wird. Unvermeidlich kommt es dadurch in der Apotheke zu unliebsamen Auftritten zwischen Apotheker und Patienten, und auch der behandelnde Arzt vermutet, daß der Apotheker dem Kranken eigenmächtig etwas anderes, Billigeres und Minderwertigeres, gegeben hat; dafür kann der Apotheker natürlich niemals verantwortlich gemacht werden! ,

Diese unpopulären Maßnahmen zeugen meiner Meinung nach nicht, wie vom Sozialversicherungsträger behauptet wird, vom Verantwortungsbewußtsein der Krankenkassen. Die schrankenlose Hetze in bestimmten parteipolitischen Tageszeitungen, welche diesen Maßnahmen vorausgeschickt wurde und dem Apotheker Wucherprofite bis zu 900 Prozent andichtete, läßt viel eher darauf schließen, daß weniger sachliche Gründe maßgebend waren: die Einschränkungen dem Volke plausibler zu machen, Gelder zur Fortführung eigener Machtvergrößerung einzusparen und gleichzeitig die Schuld an unpopulären Maßnahmen auf die unter schwierigsten Verhältnissen arbeitenden Apotheker abzuwälzen.

Die Aufgaben des gesamten Gesundheitswesens obliegen in Österreich dem Bundesministerium für soziale Verwaltung; so bestimmt es auch die Erzeugung, Zulassung und Preisbildung sämtlicher pharmazeutischei Fertigpräparate. Die Kalkulation aus Rohstoffpreisen, Herstellungskosten, Gewinnanteil der Erzeugerfirma und Großhandelsspanne ergibt für den Apotheker den meist schon hohen Einkaufspreis. Diesem wird eine bindende Gewinstspanne zugestanden, die bei den hohen Einstandspreisen meist nur 40 Prozent beträgt. Die Krankenkassen erhalten von diesen in der österreichischen Spezialitätentaxe genau berechneten und vorgeschriebenen Verkaufspreisen einen gesetzlichen Abschlag von 10 Prozent. Wenn beim Verkauf von Fertigwaren die „Übergewinne“ schon so aussehen, dann wird bei der Berechnung von Medikamenten, die in der Apotheke nach ärztlichen Rezepten hergestellt werden, der Fall geradezu grotesk: D i e heute noch gültige Arzneitaxe fußt auf Berechnung en aus dem Jahre 193 6, die Preisansätze sind also schon über 13 Jahre alt! Erst im Jahre 1947 wurde nach langwierigen Verhandlungen ein Preiszuschlag von 100 Prozent auf diese Taxpreise des Jahres 1936 zugestanden, der als Folge sämtlicher Lohn- und Preisfestsetzungen später um weitere 30 Prozent erhöht wurde. Was aber ist seit Kriegsende bis zum heutigen Tag nur um 160 Prozent teurer geworden? Wer streicht hier die „übergewinne“ ein? Nicht vielleicht der Staat selbst? Der Apotheker kauft heute die Arzneirohstoffe, die sogar noch meist von einer staatlichen Stelle eingeführt und verteilt werden, um durchschnittlich 400 bis 500 Prozent teurer ein als 1939 und wird von eben dort gezwungen, die daraus hergestellten Medikamente mit einem Zuschlag von 160 Prozent zu den Preisansätzen von 1936 zu verkaufen; davon erhalten die Krankenkassen nocn einen gesetzlichen Abschlag von 10 Prozent. Wird den Einkaufspreisen des Jahres 1939 ein Index von 100 zugrunde gelegt, so ergibt sich mit dem Zuschlag von 160 Prozent für den Verkauf heuce ein Index von 260. Da aber für den Einkauf der Arzneirohstoffe nunmehr ein Index von 539,6 gilt, steht die Arzneitaxe weit unter den Einstandspreisen; der Apotheker wird also gezwungen, bis zu 300 Prozent teurer einzukaufen als zu verkaufen.

Einige Beispiele: Magnesia usta: Heutiger Einkaufspreis: 10 g = S 3.44; Verkaufspreis für Private: 10g = S 2.08. Der Einkaufspreis liegt also um 65.4 Prozent höher als sein Verkaufspreis. Bei Krankenkassen ist der Verkaufspreis S' 1.93; es liegt also der Einkaufspreis um 78,2 höher als sein Verkaufspreis.

Pfefferminzöl: Heutiger Einkaufspreis: 10 g = S 3.33; Verkaufspreis für Private:. 10 g = S 1.04. Der Einkaufspreis liegt also um 220,2 Prozent höher als sein Verkaufspreis. Bei Krankenkassen ist der Verkaufspreis S —.97; es liegt also der Einkaufspreis um 243,3 Prozent höher als sein Verkaufspreis.

Theobromin. Natr. salicylic:

Heutiger Einkaufspreis: 10 g = S 2.03;

Verkaufspreis für Private: 10 g = S—.78.

Der Einkaufspreis liegt also um 160 Prozent höher als sein Verkaufspreis. Bei Krankenkassen ist der Verkaufspreis laut Arzneitaxe S —.73, der Einkaufspreis liegt also um 166,66 Prozent höher als sein Verkaufspreis.

Seit fast vier Jahren wird an der Herausgabe einer neuen Arzneitaxe gearbeitet, worin den Einstandspreisen der Nachkriegszeit Rechnung getragen werden soll. Die Verhandlungen dürften, dem Vernehmen nach, eben zu Ende gehen. Die große Zahl der Nichtfachleute beziehungsweise Angehörigen der Krankenkassen, die an der Schöpfung der neuen Taxe beteiligt waren, läßt aber vermuten, daß sich für den Apotheker keine wesentliche Besserstellung ergeben wird.

Abgesehen davon, hat sich in der Zwischenzeit, bedingt durch die Pfundabwertung und anschließende Schillingangleichung, eine neue Lage ergeben, welche die vierjährigen Verhandlungen überholt erscheinen lassen. Sind nämlich die im Inland noch lagernden Arzneirohstoffe aufgebraucht, so werden die notwendigen Nachschübe nach der neuen Dollarrelation 1:14,4, beziehungsweise 1:21,36 eingeführt werden müssen. Es dürften sich daraus Folgerungen ergeben, die heute noch gar nicht abzusehen sind.

Alles in allem ist der österreichische Apotheker heute arg verbittert, nachdem so viele Opfer, Geduld und Nachgeben nur dazu geführt haben, einer ganz bestimmten parteigebundenen Richtung noch mehr Anlaß zu geben, den Kampf an die Arzte und Apotheker heranzutragen und auf Kosten des kranken Teiles der Bevölkerung auszutragen. Wenn es möglich ist, mit einigen Krankenkassen (Bergarbeiterversicherung, Meisterkrankenkasse, Landwirtschaftliche Krankenkasse usw.) in beiderseitigem guten Einvernehmen zusammenzuarbeiten, so ist dies ein Beweis dafür, daß der Apotheker an dem schlechten Verhältnis zu den großen Krankenkasse nicht schuld sein kann! der Apotheker will nur die gerechte Entlohnung seiner Arbeit, und es geht nicht mehr, daß er nur mit Verlust verkauft. Parteipolitische Ziele dürfen nicht auf solche Art verfolgt werden, vor allem soll immer bedacht werden, wie dem Kranken geholfen werden kann. Dazu sind .der Arzt, der Apotheker und die Krankenkassen da!

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