Über Sommerlöcher und Abgründe

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Schweigen mag im Einzelfall politisch klug sein - gefährlich wird es aber, wenn dieses Schweigen als Zustimmung zu zweifelhaften Haltungen verstanden werden kann.

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Schweigen mag im Einzelfall politisch klug sein - gefährlich wird es aber, wenn dieses Schweigen als Zustimmung zu zweifelhaften Haltungen verstanden werden kann.

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Mediale Sommerlöcher werden immer seltener. Meist findet sich selbst dann, wenn bedeutsame Nachrichten fehlen, reichlich Nachschub an schlagzeilentauglichen Erregungen. Und manche von ihnen erweisen sich hinter einer Fassade scheinbarer Nichtigkeiten als Schlaglöcher oder gar Fallgruben -wenn sie sich nicht überhaupt zu Abgründen auswachsen.

So war das, als jüngst ein nö. FP-Landesrat die Registrierung jener forderte, die auch künftig ein Anrecht auf koscheres, weil geschächtetes Fleisch haben wollen (Juden, Muslime). Dabei ging es ihm doch nur um Tierschutz

So war es, als ein grobschlächtiger freiheitlicher EU-Parlamentarier den Rücktritt von Kommissionspräsident Jean- Claude Juncker forderte -wegen dessen vermeintlicher Alkoholsucht. Dabei ging es ihm doch nur um Europa

Und so war das auch, als der für Verkehr zuständige Minister verkündete, künftig keine Führerscheinprüfungen mehr in türkischer Sprache zulassen zu wollen. Dabei ging es ihm doch nur um Kostenersparnis

nadelstiche gegen den Werte-Konsens

Alle genannten Wortmeldungen sind symptomatisch für das offensichtliche und immer unverhohlenere Vorhaben der kleineren Regierungspartei, abseits der offiziellen Kommunikationspolitik immer wieder nadelstichartige Aktionen gegen den bisherigen österreichischen Werte-Konsens zu setzen. Offensichtlich will sie es der ÖVP als klassischer Europapartei so schwer wie möglich machen, zu ihren Grundwerten zu stehen und ihre traditionell konstruktive Europapolitik aufrechtzuerhalten.

Wenn aus solchen "Sommerlöchern" keine unbefahrbare Holperstrecke werden soll, wird es für die Kanzlerpartei entscheidend sein, in den wenigen Monaten des EU-Vorsitzes für eine konstruktive europapolitische Linie zu stehen -bis hin zum Risiko offener Auseinandersetzungen mit dem Koalitionspartner in entscheidenden Fragen. Schweigen zu Verfehlungen eines Partners mag im Einzelfall politisch klug sein -gefährlich wird es aber, wenn dieses Schweigen als Zustimmung zu zweifelhaften Haltungen verstanden werden kann.

Bundeskanzler Kurz hat vermutlich längst erkannt, dass er die Sprengkraft der dubiosen Europa-Allianzen seines Regierungspartners unterschätzt hat. Aber für die Forderung nach einem Austritt der FPÖ aus der Fraktion der Anti-Europäer als Koalitionsbedingung ist es nun zu spät. Dazu kommt, dass die Fraktion der nationalistischen Antieuropäer durch den Ausgang der italienischen Regierungsbildung in Person des neuen Lega-Innenministers Salvini noch an Gewicht gewonnen hat.

Schon in weniger als zehn Monaten, im Mai 2019, finden Wahlen zum Europäischen Parlament statt. Die Meinungsbildung dazu hat begonnen. Wenn es jetzt darum geht, "ein Europa, das schützt" zu schaffen -wer schützt uns dann davor, dass dieses Europa in die Hände von politischen Bewegungen fällt, die mit Werte-Spaltungen gegen das Langfristziel eines Vereinten Europas arbeiten?

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