Hinter den Schreckbildern

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Am Rand der Salzburger Festspiele geht es heuer um einen anderen Blick auf den Islam - als Versuch, im "Dialog der Kulturen“ ein Stück Boden zu gewinnen.

Welch tragische Gleichzeitigkeit: Während sich das festspielgestimmte Salzburg mit seiner "Ouverture spirituelle“ heuer dem Islam widmet, wütet der Furor muslimischer Gewalt: Al-Kaida und Taliban, ISIS und Boko Haram, Salafisten, Hamas und Islamischer Dschihad … Die Kürzel stehen längst für ein globales Entsetzen. Die Erklärungsversuche dafür sind bekannt: Jahrhunderte der Dauerkränkung durch westliche Dominanz und Arroganz samt sozialer und kultureller Entwurzelung. Das "Monopoly“ der Globalisierung, aus muslimischer Sicht ein gnadenloses Spiel um Macht und Geld. Und dazu die Repression und Kleptokratie der eigenen Diktatoren. Plus aktueller Enttäuschung einer jungen Generation: Der "Arabische Frühling“ hat den Falschen die Macht zugespielt.

Die islamische Welt durchlebt eben eine doppelte Zerreißprobe: Hier das neu aufgebrochene Schisma zwischen Schiiten und Sunniten. Dort der Konflikt um den "wahren Islam“: Ist er ein aggressives, rückwärts gewandtes Welteroberungsprojekt, das Religion zur Geisel verblendeter Gotteskrieger macht? Oder eine spirituell-kulturelle Kraft, die Abermillionen Muslimen in der Hingabe an Gott ("Islam“) Lebenssinn und Frieden schenken kann?

Menschheit als Schicksalsgemeinschaft

Welch glückliche Gleichzeitigkeit: Die Salzburger "Disputationes“ sind ein Geschenk zur rechten Zeit. Sie öffnen angesichts aller Verwerfungen den Blick auch auf jene andere islamische Wirklichkeit, die hinter Fanatismus und Feindbildern zu verschwinden droht:

• als große Zivilisation, ohne die Europas Gestern, Heute und Morgen nicht mehr zu denken wäre;

• als Weltreligion, die ich (so viel Persönliches sei erlaubt) in Jahrzehnten intensiver Orientreisen sicher nicht als Hort einer intoleranten, gewaltbereiten Gesellschaft erlebt habe, sondern - gerade unter schwierigsten Lebensbedingungen - als Aufruf zu Seelenruhe und Gottvertrauen;

• als Halt und Stärkung für hunderttausende Muslime in Österreich, die längst kein "Ausländer-Thema“ mehr sind, sondern fester Bestandteil unserer Alltagspluralität.

Erstmals in ihrer Geschichte erlebt sich die Menschheit gerade jetzt als eine einzige Schicksalsgemeinschaft - im Guten wie im Bösen. Sie spürt, dass Überleben letztlich nur gemeinsam gelingen kann. Das aber verpflichtet uns angesichts der gewachsenen Verschiedenheiten zu einer Trias gemeinsamer Pflichten: Neugier füreinander, Respekt voreinander, Gespräch miteinander. So einfach ist das.

Für ein Mehr an gegenseitigem Schätzen und Schützen

"Aber der Westen macht uns das gar nicht leicht. Er versteht uns nicht“, würden unzählige Muslime einwenden. Sie würden auf die Doppelbödigkeit westlicher Moral und Politik, auf unzählige Sünden unserer Diffamierungen, Ausbeutungen und Unmenschlichkeiten verweisen. Und auf unsere Gottlosigkeit.

"Aber die Muslime machen es uns schwer. Ihre Bedrohung unterwandert unsere Demokratie“, würden Amerikaner und Europäer antworten. Sie würden auf die blutigen Dramen einer ganzen Weltregion samt globaler Terrorgefahr verweisen. Und auf das Versagen der Muslime, eine erkennbare Aufgabenteilung zwischen Religion und Politik zustande zu bringen - um auch im Islam freies Denken, freies Forschen, ja, freies Atmen zu ermöglichen.

Vorwürfe hier, Schreckbilder da. Und immer die Verlockung, das eigene Ideal mit dem Zerrbild des Anderen zu vergleichen. Mit dem Ergebnis, noch tiefer in den Argwohn zu geraten.

Die Salzburger "Disputationes“ versuchen einen anderen Weg. Sie graben nach gemeinsamen Befruchtungen - in Kunst, Kultur und Spiritualität. Auch im Menschen- und Gottesbild. Hoffend, dass dabei, hinter der Last der Gegenwart, ein kleiner Bodengewinn möglich sein könnte: dass aus mehr Wissen auch ein wenig Mehr an gegenseitigem Schätzen und Schützen wachsen könnte.

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