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Der unvoreingenommene Blick

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Der Grundsatz der Laienbeteiligung am Strafprozeß bietet nach Ansicht der Kritiker des Geschwornensystems viel mehr Vorteile, wenn nicht Geschworne, sondern Schöffen als Laienrichter urteilen. Das Schöffensystem ist die Form, die einerseits das demokratische Ideal der Laiengerichtsbarkeit, anderseits aber auch Rechtssicherheit und Rechtsgleichheit weitgehend garantiert. Durch die Anwesenheit von Laien im Beratungszimmer wird die berufsrichterliche Argumentation geschärft, der unvoreingenommene Blick des Laien ermöglicht neben der generellen auch eine individuelle Wertung des Angeklagten, und so wird verhindert, daß die Urteilsflndung zu einer Geheimwissenschaft wird. Die Anwesenheit von Berufsrichtern im Beratungszimmer aber hilft den Laienrichtern, sich im Wust der Beweise zurechtzufinden und so zu einer klaren Feststellung des Sachverhaltes zu kommen, um dann gemeinsam mit den Berufsrichtern die Rechtsfrage zu klären. Es bleibt als einziger Nachteil die Möglichkeit, daß die Schöffen gegenüber den Berufsrichtern nur eine Statistenrolle spielen, weil sie der geübten Argumentation der Juristen nichts entgegensetzen können. Dieser Gefahr könnte jedoch durch ein numerisches Übergewicht der Laien (zum Beispiel sechs zu zwei) begegnet werden.

In ihrem Kampf gegen den Absolutismus beriefen sich die demokratischen Strömungen auf die Idee der Trennung von Legislative und Exekutive, um mit der Erringung einer Verfassung und der Umwandlung der absoluten in eine konstitutionelle Monarchie in der gesetzgebenden Körperschaft ein Mittel zur Kontrolle der monarchischen Macht zu haben. Parallel dazu wurde die Forderung erhoben, neben die Berufsrichter, die im allgemeinen als Instrumente des Absolutismus angesehen wurden, Richter aus dem Volke zu berufen. Die absolutistische Politik sollte durch ein Parlament, die absolutistische Rechtsprechung durch unabhängige Laienrichter gebändigt werden. Aber ebenso wie in den modernen Demokratien das Problem der Trennung von Legislative und Exekutive nach Überwindung auch der konstitutionellen Form der Monarchie kein primär ideologisch bestimmtes ist, sondern vom Gesichtspunkt des besseren Funktionierens aus betrachtet werden muß, ist auch die Laiengerichtsbarkeit weniger vom Standpunkt der Demokratieideologie aus zu sehen. Die Berufsrichter sind Organe des demokratischen Staates geworden, auch sie leiten (meist in indirekter Form) ihre Befugnisse vom Volk als dem neuen Souverän ab. Laienrichter und Berufsrichter stehen einander nicht mehr als Vertreter verschiedener politischer und sozialer Kräfte gegenüber. Die Antwort auf die Frage, wozu wir eine Laiengerichtsbarkeit benötigen und in welcher Form sie die meisten Vorteile bietet, hängt somit davon ab, wie die Laiengerichtsbarkeit ihre Funktion im Bereich der Rechtsprechung erfüllt.

Die Geschwornengerichte waren und sind noch immer ein Lieblingskind der Demokratie. Es ist aber eine sehr einseitige Liebe, welche die Demokratie an die Geschwornengerichte bindet. Die Rechtsunsicherheit, die Geschwornengerichte hervorrufen, wirkt sich immer nur gegen den Rechtsstaat und damit gegen die Demokratie, nie aber gegen deren Feinde aus. Diese Feinde waren zwar immer unverhohlene Gegner jeder Laiengerichtsbarkeit, zogen aber den größtmöglichen Nutzen aus den Fehlern des Geschwornensystems. Kaum an der Macht, beseitigt jede Diktatur sofort entweder formell die Laiengerichtsbarkeit, oder diese wird ihrer Unabhängigkeit und damit ihres Inhalts beraubt. Die Demokratie ist daher besser beraten, wenn sie nicht irgendwelchen Mythen nachjagt.

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