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CARL J. BURCKHARDT EUROPÄISCHER EIDGENOSSE

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Dem Schweizer Carl J. Burckhardt wurde Oesterreichs Ehrenzeichen für Kunst und Wissenschaft überreicht. Mit dieser Ehrung haben wir uns selbst geehrt. Es gibt heute kaum einen lebenden Autor und Publizisten außerhalb Oesterreichs, der in vollendeter klassischer Sprache soviel dazu beigetragen hat, bedeutende Oesterreicher der gebildeten Welt vorzustellen, wie eben Car J. Burckhardt. Wer ihn, ohne ihn persönlich zu kennen, an einem dieser klaren Herbsttage über den Ring gehen sah, mochte ihr, für einen Aristokraten aus dem alten Oesterreich halten. Der Sproß des alten Basler Patriziergeschlecht ein „Burckhardt“ mit „ck“ und „dt“, wie die Schweizer selbst dieses Geschlecht nennen, dem auch der Nestor der deutschen Kulturgeschichte, Jacob Burckhardt im 19. Jahrhundert entstammte, hat, wit nicht wenige Schweizer aus alten Geschlechtern, von Haus aus eine Zuneigung zur Kultur und Humanität der Menschen des Herbstes des Hauses Oesterreich. Das humanistische Basel blickt seit Jahrhunderten nach Burgund, ihm ist der Herbst des Mittelalters und Erasmus von Rotterdam vertraut, und alle Menschlichkeit, die mit den Spätsommern europäischer Kulturen am Rebstock der Zeit gewachsen sind.

Der junge Burckhardt kam als Attache 1918 an die Gesandtschaft nach Wien, wurde hier schmerzlich ergriffen durch den Zusammenbruch des alten Reiches und durch die große innere Einsamkeit, in der hier Männer wie ein Hugo von Hofmannsthal lebten una schufen. Nach dem zweiten Weltkrieg holte er mit Freunden einen der letzten Heberlebenden dieser Schicht in die Schweiz: unse-ren Rudolf Kassner, der uns selbst bei Lebzeiten so wenig war. Neben Hofmannsthal und Kassner und Rilke steht Carl Burckhardt die ganze Bildungswelt Altösterreichs nahe, persönlich, lebendig nahe: von Maria Theresia über Grillparzer zu den Dichtern unse-res Fin du siede. Dieser Schweizer Historiker, Diplomat und Staatsmann besitzt eine innere Beziehung zu Oesterreichs Kultur, wie heute vielleicht kaum einer unserer österreichischen Politiker. Das allein ist ein Grund bereits, ihn zu ehren und diese Ehrung nachdenklich zu feiern. Vergessen wir jedoch über den reichen österreichischen Aspekten der Gestalt Burckhardts nicht seine europäische Arbeit.

Dieser Historiker, dessen Hauptwerk Richelieu gewidmet ist, war in der schweren Leidenszeit Europas in den letzten zwanzig Jahren an verantwortungsvollen Posten eingesetzt: als Völkerbundkommissar in Danzig von 1937 bis zum Ausbruch des zweiten Weltkrieges, wo er seinen Amtssitz den Deutschen übergeben mußte. Heber diese Zeit wird Carl J. Burckhardt demnächst einen wichtigen Erinnerungsband mit unveröffentlichten Dokumenten vorlegen: „Meine Mission in Danzig.“ Im Kriege wurde er zum Präsidenten des Internationalen Roten Kreuzes mit dem Sitz in Genf gewählt. 1945 wurde er, in der auch für die Schweiz schwierigen Nachkriegszeit, zum ersten Schweizer Botschafter bei de Gaulles Regierung in Paris ernannt. Es stimmt nachdenklich, daß dieser Europäer aus der letzten Mitte alteuropäischer Kultur und Geistigkeit beruflich sehr eng mit Männern wie Hitler, Himmler und Heydrich zusammengeführt wurde — nämlich bei seinen Bemühungen um einen Rotkreuzeinsatz in den deutschen KZs.

In der Nachkriegszeit gehört Carl J. Burckhardt zu jener Creme von europäischen Rednern der allerersten Garnitur, der ein Ortega y Gasset angehörten. Wo immer er an das Vortragspult tri’t, fesselt seine Erscheinung ebenso wie sein Vortrag das Publikum. Hier, zum Abschluß dieser Skizze, soll nicht ganz vergessen werden: dieser Herr aus Basel ist ein Kenner der Kunst zu leben, das Leben mit Maß und Leidenschaft zu genießen: dieser einen Kunst, die ihn noch einmal und vielleicht zutiefst mit der großen Gesellschaft des alten Europa verbindet. Er ist, mit einem Wort, ein echter Konservativer …

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