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Carl J. Burckhardt

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Carl J. Burckhardt, der Schweller Gelehrte, Diplomat und Schriftsteller, hielt am 19. Mai Uber Einladung der Oesterreichischen Kulturvereinigung und des Forums des Burgtheaters im Akademietheater eine Rede über Friedrich Schiller,

Ein großer Europäer und Freund Oesterreichs sprach in der Geburtsstunde einer neuen Existenz unseres Landes über den europäischen Begriff der Freiheit zu uns. Kaum ein anderer hätte mehr Befugnis dazu als dieser Humanist aus Basel, das ähnlich über dem Zusammenfluß mächtiger Blutströme Wache hält wie Wien. In Basel berühren romanische und germanische Welt einander, in Wien tritt das slawische Element hinzu. Beide Städte fühlen und wissen sich als Hüterinnen dieser von Schrecken und Fruchtbarkeit gleichermaßen umwitterten europäischen Dreienheit.

Wien wurde dem jungen Baseler Historiker schon früh zum Vorbild einer europäischen Weltstadt, das alte Oesterreich, als eine „ins Geistige erhobene Oekumene“, zur legitimen Nachfolgerin der antiken und christlichen universalistischen Staatssysteme, in denen die Begriffe „Concordia“ und „Libertas“ das geistige Fundament einander ergänzender, bedingender-und korrigierender Institutionen bildeten. 1918, als Alt-Oesterreich zerfiel und zerstört wurde, kam Burckhardt als Attachi an die schweizerische Gesandtschaft in Wien und konnte, wie am Rande des Maelstromes, Zeuge von Ereignissen großer Geschichte werden. Aus den Händen seiner damaligen Wiener Freunde, Rilke, Kassner, besonders aber Hofmannsthals, empfing er, wenn man so sagen darf, die geretteten Reste großen, weltverbundenen, weltverpßichteten, dem Menschen verpflichteten österreichischen Denkens: nicht, nur der „Völker Müdigkeiten“, sondern auch uralte Weisheit, die Reife und Milde österreichischer Katholizität, das liebende Ahnen und Ringen um die Seele des anderen, des Fremden und Fremdesten. Vier Jahre in Wien haben ihn nicht weniger geprägt als die Geburt aus der altberühmten Baseler Gelehrtenfamilie.

Von u“un an teilte er seine Arbeit zwischen der Wissenschaft, indem er als Historiker die Verflochtenheiten und Weiten der abendländischen Geschichte zu ergründen und darzustellen trachtete, und der praktischen politischen Tätigkeit im Dienste jener modernen Ausprägungen des alten Gemeinschaftsstrebens, des Internationalen Roten Kreuzes und des Völkerbundes. 1923, nach dem Griechisch-türkischen Krieg, leitete er eine Expedition des Internationalen Roten Kreuzes in die Türkei, 1935 kam er als Delegierter derselben Organisation nach Berlin, um die deutschen Konzentrationslager zu untersuchen und für Erleichterungen zu intervenieren, 1937 wurde er Völkerbundkommissar in Danzig. Während des zweiten Weltkrieges trachtete er als Präsident des Internationalen Roten Kreuzes helfend einzugreifen, wo immer dies möglich war, 1946—1950 konnte er als Schweizer Gesandter in Paris am Entstehen neuer, einigender Institutionen inspirativ und praktisch mitwirken. Die Jahre wissenschaftlicher Tätigkeit an der Züricher, später an der Genfer Universität begannen 1927 mit einer Antrittsvorlesung über den „Oesterreichischen Reichsbegriff“. Aus der Reihe historischer, politisch-philosophischer und erzählerischer Werke ragt besonders sein „Richelieu“ hervor, der den Vergleich mit Ranke nahelegt. So gehört Burckhardt jenem im Westen nicht seltenen Typ schöpferischer Männer an, die von der „razon vital“, höchster lebendiger Vernunft, wie Ortega y Gasset es nennt, geprägt sind, die ebenso zur aktiven Teilnahme am öffentlichen Leben, wie zu dessen geistiger Bewältigung und Durchordnung in wissenschaftlicher und künstlerischer Arbeit drängt.

Wenn endlich „Concordia“, die schon Cicero als das stärkste Fundament des Staates preist, wenn Eintracht, die so oft gesuchte und verlorene, nach den Erschütterungen und Neuformungen der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts wiedergefunden werden könnte, dann ist Burckhardt einer

von jenen ehrlich und ernstlich Wollenden, die viel dazu beigetragen haben.

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