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Der mittlere Burckhardt

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Jacob Burckhardt. Eine Biographie. Band II. Das Erlebnis der geschichtlichen Welt. Von Werner Kaegi. Benno-Schwabe-Verlag, Basel. 586 Seiten, 32 Tafeln

Im Vorwort zum zweiten Band seiner Biographie über Jacob Burckhardt verteidigt sich Werner Kaegi gegen den Vorwurf, der ihm nadi Erscheinen des ersten Bandes gemacht wurde, sein Werk sei viel zu breit angelegt, i Dieser zweite Band behandelt nun wieder „nur“ wenige Jahre, von 1839 bis 1846, scheint also aufs neue mit außerordentlicher Kühnheit die Kritik herauszufordern. Die erste Lektüre aber ergibt bereits ein anderes Bild: nicht nur die Rechtfertigung der Breite des ersten Bandes, der Umfänglichkeit des zweiten, von Kaegi verteidigt als Aufzeigung der „Konfession burckhardtischer Existenz“, sondern wohl bereits die Sicherstellung des Gesamtwerkes als eines Monumentum Helveti- cum sive Europaeum. Was hier, an Hand vieler unveröffentlichter Quellen zum erstenmal der Öffentlichkeit der europäischen Gebildeten vorgestellt wird, ist ja nicht nur der Bildungsgang eines Fachgelehrten zwischen Berlin, Bonn, Weimar, Pari6 und Basel vor seinem klassischen Jahrzehnt, der Epoche schöpferischer Emanationen. So interessant, im einzelnen, die Begegnungen mit Kugler, Ranke, Kinkel, dann die größere Begegnung eines gewissen Humanismus mit der geschichtlichen Welt ist, bedeutender noch erweist 6ich, und dieser Gehalt ist nur im Allereinzelsten geborgen, die Komplexität dieser exemplarischen Existenz auf dem Hintergründe der Krisenjahre Europas in diesem Jahrhundert, das sich noch weithin unserer Deutung entzieht und das in keiner Weise durch ein billiges Lob oder Tadeln bewältigt wird. Was begibt sich doch in eben diesen Jahren in Kierkegaard und Marx, was wächst da heran in den

„rechten" und „linken“ Hegelianern Kaum ein Gedanke de6 20, Jahrhunderts, der hier nicht vorbedacht, ausgesprochen und oft schon glänzender formuliert wurde. Es ist nun, als ob sich Jacob Burckhardt in diesen entscheidenden Bildungsjahren so vollge6ogen, so gesättigt hätte — innerlicher als er vielleicht selbst wußte, zumindest aussagen wollte, an der Vielgesichtigkeit und Problemschwere Alteuropas, daß er eben dadurch befähigt wurde, zu jenen großen Visionen europäischer Vergangenheit und Zukunft, die heute wieder stärker als vor den beiden Weltkriegen den Leser mit Bangen und Hoffen erfüllen (auch dies ein Abglanz jenes „fröhlichen Pessimismus", vergleiche Seite 569, der in verschiedenen Gestalten das Antlitz des Altmeisters prägen wird). Etwas von dieser schweren Fülle verraten blitzartig die zu einem eigentümlichen historischen Pantheismus hinneigenden Bemerkungen zu Kinkel (Seite 194 f), verrät sein Mißtrauen Rembrandt gegenüber (Seite 508 f.): es ist, als ob hier nicht nur der Mystizismus des Rembrandtdeutschen (des arg überschätzten Schwärmers), sondern der ganzen „Bewegung" zwischen 1918 und 1945 vorweg eingesehen und entlarvt 6ei. Und es ist so: Burckhardts Verstimmung über Rem- brandts Absage an den „Großen Stil“, zu vergleichen Rudolf Kaßners Absage gegen die Menschen „ohne Gesicht", nach der Zertrümmerung der „großen Formen" Alteuropas, stammt aus seiner Sorge um die Zertrümmerung aller Werte und Ordnungen, die einem „Guten Europäer“ das Leben lebenswert machen. In seinem eigenen Einzelgängertum aber rückt Burckhardt seltsam nah heran an alle die anderen problematischen „Einzelnen“ seines Zeitalters. Es steckt etwas von einem revolutionären Spiritualisten in ihm; Staat, Gesellschaft, Religion, die Mächte der Geschichte und der Gegenwart: alle können 6ie nicht bestehen vor seinem Urteil, das gerade durch seine Sensibilität und einen feinen, 6ehr feinen Hochmut und hohen Mut sich überhebt. „Wenn man gesagt hat, Burckhardt sei zu fromm gewesen, um Theologe zu werden, 60 könnte man das Paradoxon erweitern und sagen: er habe zu viel Rechtsinn besessen, um Politiker, und zu viel Freiheit66inn, um Liberaler zu werden“ (Seite 427). Seine Distanzierung zum alten Basel ist nur ein Schritt auf jenem Wege zur Distanzierung zu seinem Zeitalter; ihr verdanken wir seine großen Werke. Sie werden bezahlt mit einem Leben, das bewußt auf eine letzte Sinnerfüllung verzichtet: in einem „tätigen Leben", in der Gründung einer Familie, in politischem Einsatz. Die Tragik und Größe des alten Burckhardt wird somit bereits in diesem Bande sichtbar, und vieles von der innersten Zwie- gesichtigkeit des 19. Jahrhunderts.

Univ.-Doz. Dr. Friedrich Heer

Die Teufelsschule. Aus dem Vermächtnis eines Arztes. Von Jakob Stab. Verlag Josef Knecht. Carolusdruckerei, Frankfurt a. M. 331 Seiten.

Das tief besinnliche Buch gründet sich auf Aufzeichnungen eines alten Schweizer Landarztes, den seine Praxis außer mit seiner bodenständigen bäuerlichen Bevölkerung mit amerikanischen Geldmagnaten, mit politischen Flüchtlingen aus Deutschland U6w. in Be rührung brachte. Der Titel „Die Teufelsschule beruht auf der Erkenntnis, wie der Mensch, der Dämonie verfallenf sich immer tiefer und unlösbarer in deren Fäden verstrickt. Das Buch zeigt vor allem den Weg eines echten Arztes, der, von rein positivistischer Schulmeinung herkommend, zunächst zur Erkenntnis der sozialen Verbundenheit des Menschen gelangt, der sozialen Bedingtheit und Bedeutung des Krankheitsgeschehens nachforscht. So findet er immer mehr zu einer universalistischen Betrachtungsweise, in deren Lichte er auch die metaphysi-, sehen Hintergründe des Krankheitsgeschehens erkennt, um schließlich angesichts de6 eigenen Todes den Tod durch letzte und tiefste Erkenntnis zu überwinden. Die Gedanken über Tod und Sterben gehören zum Besten, was darüber aus ärztlicher Feder bisher geschrieben worden ist.

Univ.-Prof. DDDr. A. Niedermeyer

Die heilige Messe. Von Henry Daniel- R o p s. Abendländische Verlagsanstalt, Innsbruck 1952.

Es ist erstaunlich, was Daniel-Rops uns auf 90 Seiten als Hisoriker und Dichter über die Messe — heute ein vieldeutiger Ausdruck — sagen kann. Sie würde besser nach Cyprian „Passio Domini" heißen. „Denn das ist die Wahrheit, das Leiden Christi steht im Mittelpunkt: angeruten, verkündet, gefeiert, vollzogen. Nachvollzug der Handlungen und Worte im Abendmahlsaal. Opfer von Kalvaria und Festmahl der Getauften, das ist die Messe." Auch wenn die 33 Photos, die dem feinsten französischen Geschmack entsprechen, nicht beigegeben wären, Daniel-Rops versteht die fortlaufende Meßfeier so anschaulich zu entfalten, ob er nun je und je die historische Entwicklung aufzeigt oder ob er Gebete von ergreifender dichterischer Schönheit gestaltet, die doch den Abstand wahren. Immer ist er bildhaft und erlebniskräftig. Und vielleicht wird eben dieses Erlebnishafte dem evangelischen Christen von heute eher den Zugang zum Mysterium öffnen als die Strenge objektiver Formen. So hat diese Schrift neben

Casel, Parsdv, Jungmaon und Chevrot seinen Eigenwert, sie gibt immer, weil sie aus der Tiefe gibt und sich vom Geist des Missale inspirieren läßt.

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