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Jacob Burckhardt als Briefschreiber

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Dieser zweite Band der von Max Burckhardt und Werner Kaegi sorgfältig betreuten Gesamtausgabe der Briefe Jacob Burckhardts umfaßt äußerlich knapp drei Jahre, inhaltlich zeigt er aber, wie der junge Burckhardt immer mehr aus der romantischen Welt seiner Jugend- und Wanderjahre im deutschen Raum in seine eigentliche Stellung, Größe und Einsamkeit hineinwächst. Da steht noch der junge Dichter, Zeichner, Kritiker und Journalist vor uns, in seinem Briefwechsel mit Gottfried Kinkel, seinem „vieltausendmal geliebten Urmau“ und mit Johann Kinkel, der von sich bekennt: „Gegen Außen auf das Publikum, möchte ich nie anders wirken als durch das Drama. Und das ist mir versagt. — Drum bleibe ich auf die Geschichte beschränkt, denn die wird mir nicht mehr untreu und ist der einzige Trost für einen stürmenden Busen. Darum kann ich auch nicht mehr ganz unglücklich werden“ (27. Jänner 1844). — Und nun beginnt die schicksalentscheidende Bindung an Basel, an die Universität: „Was mich im ganzen hier festzuhalten droht, ist das Amt an der Universität, obschon es unbesoldet ist. Basel ist die einzige Universität, wo die Professoren kollegial leben, wo nicht alles sich haßt wie, Hund und Katz'“ (4. Juni 1845, an Eduard Schauenburg — Schauenburg ist, neben den Kinkels, der wichtigste Adressat dieses Bandes). Und hier beginnt nun Jacob Burckhardt, vor der Mitte des Jahrhunderts und vor 1848, bereits der große Kritiker seiner Zeit zu werden, der voll Sorge in die Zukunft Europas blickt. Man vergleiche einmal einen Brief vom 26. Jänner 1846 (an Schauenburg1!, in dem es über Preußen heißt: „Wie es jetzt in Preußen geht, sehe ich nicht ohne geheimes Grauen. Von oben lauter unrichtige Mittel, die der Opposition in die Hände arbeiten, und von unten heraufdrängend einige wenige reine Geister und daneben Millionen von unsauberen! Siehe einmal um Dich, liebster Ete, und erkenne die Advokateneitelkeit, die Rabulisterei, den Ultramontanismus, die kommunistische Raubsucht, den Pöbelgrimm und andere Tendenzen, die sich zusammen im stillen oder schon halblaut gegen die Regierung rüsten!“ — Am 28, Februar 1846 legt er demselben Freund gegenüber das wichtige Bekenntnis an: „Ach, lieber Junge, Freiheit und Staat haben an mir nicht viel verloren. Mit Menschen wie ich einer bin, baut man überhaupt keinen Staat; dafür will ich, solange ich lebe, gegen meine Umgebung gut und teilnehmend sein; ich will ein guter Privatmensch, ein liebreicher Kumpan, eine vortreffliche Seele sein, dafür habe ich ein Talent und das will ich ausbilden. Mit der Gesellschaft im großen kann ich nichts mehr anfangen; ich verhalte mich gegen sie unwillkürlich ironisch; das Detail ist meine Sache.“ Aus dieser wichtigen Stelle lassen sich zwei charakteristische Bezüge Burckhardt6 wenigstens in nuce ablesen: einmal seine Befangenheit im Individualismus, urn es genauer zu sagen, in der Glaubensschwäche der Romantik.

Das aber will richtig verstanden werden. Burckhardt wird zum großen Abseitigen — und das ist eine echte Tragödie —, weil er die Welt, seine Zeit, sein Jahrhundert zwar durchschaut, aber nicht die Verantwortung für sie übernehmen will; er verweigert sich deshalb der Ehe, der Ehe auch mit seiner Zeit, mit der res publica — und trifft sich hier, wie in seiner scharfen Zeitkritik, genau mit einem anderen großen Abseitigen, mit Sören Kierkegaard,' dessen ganzes Denken um seine gelöste Verlobung mit Christine und durch sie, mit der Welt, kreist. Kierkegaard bekennt in seinem Tagebuch: „Hätte ich Glauben gehabt, wäre ich bei Christine geblieben.“ — Die Größe des innersten Bruches in Kierkegaard darf wohl die Größe des innersten Bruches mit Jacob Burckhardt ansagen ... — Dann aber wird, in derselben Briefstelle hier, wieder in nuce, die eigentümliche Religiosität der Weltanschauung Jacob Burckhardts blitzartig sichtbar: „Das Detail ist meine Sache.“ Dieses Bekenntniswort erhellt sich am besten durch das Bekenntnis eines anderen Kunst- und Kulturhistorikers, Aby War-burgs, der, gegen Hegel gewandt, erklärt: „Der liebe Gott ist im Detail.“ Burckhardt macht es sich nicht leicht: sein Gesamtwerk trägt unter anderm auch die Züge einer Theologia negativa: sprglich und sorgsam, zart, verhalten und vieles verschweigend, sucht der Basler Patrizier die Spuren Gottes auf in den „kleinen“ und „großen“ Dingen, Schönheiten, Farben, Zeichen und Gesichtern. Es ist, als gehe er im Geiste den Weg zurück zu seinen großen Ahnen, den Curiones, die einst aus Italien geflohen waren, um einer gewalttätigen Verbindung von Gott, Geist und Macht der „Gesellschaft im großen“ zu entrinnen. — Wie Wetterzeichen der späten Reife, gehen aus diesem zweiten Bande der Burckhardt-Briefe Lichter aus, die den großen, einsamen Europäer beleuchten.

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