Hitlers Wiener Walzer

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Was US-amerikanische Zeitungen über die Ereignisse im März 1938 schrieben: Entsetzen und Hoffnung auf Hitlers noch verbliebene Vernunft prägen die Berichte.

Dienstag, 15. März 1938: Wien im Ausnahmezustand. Hunderttausende Menschen drängten auf den Heldenplatz, darunter auch etliche ausländische Korrespondenten, die über Adolf Hitlers Rede berichten wollten. Doch vergeblich, sie wurden während des Ereignisses im österreichischen Kanzleramt von deutschen Offizieren festgehalten, unter ihnen auch der Korrespondent der New York Times, G.E.R. Gedye. Er berichtete, wie sich österreichische Nazis für die Schar Korrespondenten einsetzten und von den deutschen "Kollegen" mit dem Erschießen bedroht wurden. "Das erklärt, was wirklich hinter der Invasion und Okkupation dieses Landes steckt; im Unterschied zu den Paraden der Brüderlichkeit", schrieb der Journalist.

Was haben ausländische Korrespondenten trotz dieser Schikane vom "Anschluss" berichtet? Beispielsweise die angesehene New York Times oder andere US-amerikanische Zeitungen? Hitler, der wie ein "Caesar" in jene Stadt einmarschierte, die er vor etlichen Jahren als Niemand verlassen hatte; Hitler am Zenit seiner Macht. Diese Einschätzung war gepaart mit Entsetzen über Deutschlands Aggression, Kriegsangst und Kopfschütteln über die matte Reaktion der Westmächte. Die Reporter berichteten sogleich über die einsetzende Verfolgung der jüdischen Bevölkerung.

Erinnerungen an das kleine charmante Österreich prägten ihre Berichte, Grundzüge von Schuschniggs autoritärem Ständestaat wurde aber nicht erklärt. Besonders deutlich wurde dieses Bild in einer Karikatur herausgearbeitet, die in der New York Times erschien: Hitler tanzend mit einer sich zierenden und etwas überrumpelt wirkenden Frau, die Österreich symbolisiert. Ein fröhlicher Hitler, welcher der Dame ständig auf die Füße tritt, dreht sich nicht zum Donauwalzer, sondern zum Horst-Wessel-Lied im "totalitären" Tempo. Während die New York Times 1938 ein umfassendes Psychogramm Hitlers zeichnete, seine bisherigen Taten mit den in "Mein Kampf" skizzierten Plänen verglich, hoffte die Zeitung trotzdem noch auf Mäßigung des Diktators. Die New York Times konnte sich nicht durchringen, den letzten Puzzlestein in ihr Erklärungsmosaik einzufügen: Hitler will Krieg.

Unterschätzung des deutschen Diktators dominierte das Bild von Anfang an. Schon Ende 1922, anlässlich Mussolinis "Marsch auf Rom", oder ein Jahr später anlässlich des Hitler-Putsches in München wurde Hitler von den amerikanischen Zeitungen ausführlich thematisiert: Damals bildete sich das Image des feurigen Redners, eines Möchtegern-Mussolinis, der nicht ganz ernst zu nehmen ist, zu untypisch und sonderbar erscheint dieser Politiker, unvorstellbar, dass ausgerechnet dieser Rabauke 1933 Deutschlands Kanzler wurde.

Die Chicago Tribune, Flaggschiff des amerikanischen Isolationismus, schob vor allem Großbritannien und Frankreich die Schuld an Hitlers Großwerden und Aggression in die Schuhe. Europa sei zerstritten und kriegswütig und bleibe es, Hitlers Handeln sei daher vorhersehbar gewesen, urteilte die ultrakonservative Zeitung und formulierte nur einen Appell: Keine Einmischung der USA in Europa! Nach Pearl Harbor im Dezember 1941 vollzog die Chicago Tribune eine Wendung um 180 Grad.

Der legendäre Herausgeber der Hearst-Zeitungskette, William R. Hearst, hoffte noch anlässlich des "Anschlusses", dass Hitler zur Vernunft komme. Dass sich Deutschland Österreich, also ebenso Deutschstämmige, einverleibe, sei hinzunehmen, nicht aber der Terror des Regimes gegen Juden und andere Gruppen. Hearst interviewte Hitler 1934 während eines Deutschland-Besuchs und kämpfte danach in der Heimat gegen den Ruf, ein Hitler-Sympathisant zu sein. Tatsächlich konnte Hearst - vor allem Anfang der 30er Jahre - eine gewisse Bewunderung für den deutschen Diktator nicht leugnen, das Terror-Regime hatte er aber nie goutiert. Hitler hatte Hearst damals erklärt, dass die Repressionen in Zeiten großer Umbrüche notwendig seien, dann aber aufhören würden. Noch 1938 erinnerte Hearst in einem Kommentar Hitler an diese Worte und appellierte an den Diktator, dass ein wahrer Staatsmann sein Reich nicht auf Terror und Unterdrückung baue, sondern auf Freiheit und Toleranz. Hearst hatte keine Ahnung von Hitlers Charakter und Wesen. Regine Bogensberger

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