Bei den diesjährigen Rauriser Literaturtagen las Freund Herbert J. Wimmer, mit dem sie 2004 im Droschl Verlag die 50 Postkarten "LOGO(S)" herausgebracht hat, ihre Texte vor. Elfriede Gerstl erlaubte ihre Krankheit nicht mehr, ins Salzburger Tal zu reisen. Unter den vorgelesenen Texten war auch ein "unerwartetes totengedenken": "an einem sonnigen sonntag / über den graben gehen & ins hawelka schauen / ist wie ein friedhofsbesuch" notierte Gerstl vor ein paar Jahren. Denn viele Figuren der Wiener Avantgarde, die wie H. C. Artmann oder Reinhard Priessnitz einst im berühmten Café Hawelka saßen, leben nicht mehr. Seit 9. April 2009 ist auch Elfriede Gerstl unter ihnen.
Sie war eine besondere Gestalt des Literaturbetriebes, weil sie eben keine Gestalt desselben war und kein Rädchen in seinem Getriebe. Spät, sehr spät schenkte der Betrieb ihr die Anerkennung, die sie längst verdiente: 1999 erhielt sie den Georg-Trakl-Preis und den Erich-Fried-Preis, 2004 den Ben-Witter-Preis, 2007 den Heimrad-Bäcker-Preis. Geld hatte sie bitter nötig, erst 1979 konnte sie eine 47m2-Wohnung mit zwei Preisgeldern ablösen und eine Dusche einbauen. Um Zugehörigkeit im Betrieb freilich ging es ihr nie. "etwas beachtung - interviews der / ganze blödsinn / der schmonzes kostet kraft / bringt kein vergnügen / zustimmung will ich jetzt / von denen die ich schätze" kann man in "alle tage gedichte" (1999) lesen.
Witz und liebevolle Ironie
Dass sie eine starke Persönlichkeit war, spürte man, so man das Glück hatte, sie kennenzulernen, sofort. Die begeisterte Sammlerin von Hüten und Kleidung ("gute nacht mein liebes glumpert / ich habe zuviel von euch / aber nicht genug") besaß neben ihrem außergewöhnlichen Gespür für Sprache einen äußerst wachen Blick und die Fähigkeit zu staunen. "manche kommen aus dem staunen nicht heraus / manche nie hinein" heißt es in "mein papierener garten" (2006), und in welchem wunderbaren Garten Gerstl wilderte, das kann man in ihren vielen Büchern nachlesen: "spielräume" (1977), "Vor der Ankunft" (1988), "Unter einem Hut" (1993), "Kleiderflug" (1995), das Kinderbuch "die fliegende frieda" (1998), "neue wiener mischung" (2001).
Witz und liebevolle Ironie machen Gerstls Texte zu einem Lesevergnügen. Die Dekonstruktion von Denk- und Sprachgebäuden schien ihr mit leichter Hand zu gelingen, spielerisch entlarvt sie Zeitgeist und Trends, auch die Klagen über ihren Körper haben nie etwas Wehleidiges: "mitunter hab ich diesen körper nicht im griff". Sehr hell kommt ihre Kritik daher - trotz des Dunkels, das ihr Leben für Jahre war. Denn die am 16. Juni 1932 in Wien geborene Schriftstellerin überlebte die Nazizeit in diversen Verstecken, in verdunkelten Wohnungen im 2. und 3. Bezirk.
2002 schickte sie auf Bitte der Redaktion der Zeitschrift SCHRIFTzeichen, die Gerstl zu ihrem 70. Geburtstag würdigte, einen handgeschriebenen Text: "mein himmel". "mein himmel ist hier und jetzt", schrieb sie darin. "wenn es noch einen anderen himmel geben sollte / den ich mir nicht vorstellen kann /lasse ich mich überraschen".
mein himmel
mein himmel ist hier und jetzt
mein himmel ist meine vorstellung von himmel
er ist die freundlichkeit
verlässlichkeit
anteilnahme
bei glücks- und unglücksfällen
mein himmel ist nicht voller geigen
sondern voll solidarität
mein himmel ist auch eine utopie
von eine gerechteren welt
in der einsicht und nachsicht
tägliche realität sein sollte
himmel ist das festgeknüpfte netz
ähnlich denkender und fühlender
und das glück ihm anzugehören
wenn es noch einen anderen himmel geben sollte
den ich mir nicht vorstellen kann
lasse ich mich überraschen
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