Was man nicht nützt, ist eine schwere Last
GASTKOMMENTAR. Politiker verschiedener politischer Parteien haben die "Initiative für politische Qualität" gegründet. Das herkömmliche Links-Rechts-Schema halten sie für obsolet, stattdessen wollen sie neue Kriterien definieren. Einer der Initiatoren erklärt hier das Projekt.
GASTKOMMENTAR. Politiker verschiedener politischer Parteien haben die "Initiative für politische Qualität" gegründet. Das herkömmliche Links-Rechts-Schema halten sie für obsolet, stattdessen wollen sie neue Kriterien definieren. Einer der Initiatoren erklärt hier das Projekt.
Bei Produkten und Dienstleistungen ist uns klar, dass wir neben dem Preis auch die Qualität bewerten. In der Politik wird Qualität als Maßstab bisher erstaunlich wenig angewendet. Das mag daran liegen, dass Politik sich aufgrund ihrer Komplexität einer Anwendung des Qualitätsbegriffs entzieht. Es ist ja auch so, dass wir locker zu sagen wissen, wofür wir einen Friseur oder eine Steuerberaterin brauchen, aber nicht so recht wissen, was wir mit einem Abgeordneten anfangen sollen. So sehr sich die Hervorbringungen von Politik anscheinend einem Qualitätsmaßstab entziehen, so unklar ist die job description von Abgeordneten, speziell in Österreich.
Dass bei der Einschätzung politischen Handelns dessen Qualität bisher kaum eine Rolle spielt, liegt aber wohl hauptsächlich daran, dass andere Maßstäbe zur Anwendung kommen, nämlich solche, die auf einer Einordnung in einem ideologischen Koordinatensystem, das in den vergangenen eineinhalb Jahrhunderten entstanden ist, beruhen. Die Aussagekraft dieses Koordinatensystems hat seinen Zenit weit überschritten.
Also versuchen wir doch den sonst bewährten Qualitätsmaßstab an Politik anzulegen! Vor ein paar Jahren haben wir im Freundeskreis sieben "Maximen" und "Methoden", die Qualität von Politik definieren sollten, formuliert: Freiheit, Verantwortung, Empathie, Gemeinwohl, Weltoffenheit, Chancen, Lebensglück (Maximen) sowie Partizipation, Wissensbasis, Kreativität, Inspiration, Innovation, Vertrauen, Tempo (Methoden). Das war schön, aber doch eher eine Kopfgeburt für die Schublade. So bin ich dankbar dafür, dass sich seit dem Vorjahr Profis aus fast allen parlamentarischen Parteien darauf eingelassen haben, gemeinsam Qualität von Politik zu reflektieren.
Makler für die Anliegen der Wähler
Dieses Jahr der Reflexion hat Verständnis und Vertrauen zwischen den Teilnehmerinnen und Teilnehmern wachsen lassen und hat die "Charta für politische Qualität" zum Ergebnis, die unter politikqualitaet.at zu finden ist. Unter allen, die diese Charta unterstützen, sollen ab Herbst regelmäßig Umfragen zur Lage der politischen Qualität in Österreich stattfinden.
Bemerkenswert ist, dass bei der Reflexion über Qualität von Politik zwar viele Flipcharts und Seiten gefüllt worden sind, dieser Prozess aber zu der für die Mitwirkenden eindeutigen Erkenntnis geführt hat, dass der Kristallisationspunkt zur Qualität von Politik in Österreich zunächst der Parlamentarismus ist.
Wie die Glühbirne oder der Buchdruck ist auch der Parlamentarismus eine Innovation, die der Menschheit viel gebracht hat und bringt. Aber der Parlamentarismus gehört gepflegt und stetig entwickelt. "Was du ererbt von deinen Vätern hast, erwirb es, um es zu besitzen", lässt Goethe seinen Faust sagen. Nun mag es sein, dass wir in Österreich den Parlamentarismus von unseren Vätern ererbt haben, diese aber haben ihn geschenkt bekommen von drei der vier alliierten Mächte. Wir hierzulande haben den Parlamentarismus nicht erfunden. Umso mehr sollten wir ihn pflegen und weiterentwickeln. Gemeint ist er in etwa so:
Menschen wählen Menschen in Parlamente. Die Menschen in den Parlamenten sind Abgesandte aus ihren Wahlkreisen (systemisch bedingt sind es in den österreichischen Parlamenten nicht alle, aber die meisten; nur im Europaparlament sind es alle, in diesem Fall ist ganz Österreich ein einziger Wahlkreis). Die Abgeordneten haben die Menschen aus ihren Wahlkreisen zu vertreten, die Regeln für das Zusammenleben weiterzuentwickeln, sowie Land und Leute nach außen zu repräsentieren. Die Abgeordneten haben die Regierenden zu beauftragen und zu kontrollieren, sowie "Maklerinnen und Makler" zu sein für die Anliegen von Menschen gegenüber Staat und Politik. Dass die Parlamentarier nur auf begrenzte Zeit gewählt sind, ist ein zentrales Merkmal von Demokratie. Dass das oben Beschriebene friedlich geschieht, gehört zu den Früchten der Demokratie.
Man sieht: Unser Realparlamentarismus ist verbesserungswürdig. Mit Blick auf manche Verkorkstheit der heimischen Politik lässt sich sagen, wie recht Goethes Faust mit dem Satz hat, den er an den oben zitierten anschließt: "Was man nicht nützt, ist eine schwere Last."
Der Autor wurde zwei Mal durch Vorzugsstimmen in den nö Landtag gewählt, ist Vizebürgermeister von Gerasdorf und hat die "Initiative für politische Qualität" mitinitiiert (politikqualitaet.at).
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