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Aus alten Pakten lernen...

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81 zu 79 — magische Zahl für die nächsten vier (?) Jahre, Ausdruck der Mentalität des österreichischen Wählers. Es widerstrebt ihm offenbar, einer Partei die klare Mehrheit zu geben und die andere von der Regierungsverantwortung auszuschließen. Mag auch die Führungsrolle von der einen Partei auf die andere übergegangen sein, so ist das Votum doch unschwer als Auftrag zu einer neuen großen Koalition zu interpretieren. Viele freilich wollen diese Regierungsform, die durch Versäumnisse, politischen Kuhhandel, Junktimsund extremen Proporz diskredidiert wurde, endgültig im innenpolitischen Gruselkabinett verbannt wissen.

Für die neue große Koalition sollen nicht nur nach Meinung des designierten Bundeskanzlers Dr. Kreisky, sondern auch nach dem Willen aller politisch Engagierten neue Modelle der Zusammenarbeit, transparente und demokratische Formen, gefunden werden. Dies wird augenfällig, wenn man die Koalitionsabkommen der vergangenen drei Legislaturperioden ab (1956, 1959 und 1963) auf Demokratie und Transparenz untersucht.

Rene Marcic stellte 1965 an die Parteien die Gretchenfrage, ob sie diese „Bindungen, die Koalitionsvereinbarungen oder ähnlichen parteipolitischen Absprachen entspringen, für rechtliche Bindungen“ halten. Dr. Bruno Kreisky antwortete: „Koalitionsvereinbarungen sind Absprachen zwischen Parteien darüber, wie sie ihr Verhältnis in einer Regierung, die sie gemeinsam bilden wollen, regeln. Es kommt also Vereinbarungen dieser Art keine rechtliche Natur zu. Sie basieren auf dem Grundsatz von Treu und Glauben, der insbesondere im politischen Leben eines demokratischen Staates gelten muß. Wenn eine Partei Vereinbarungen, die sie mit einer anderen geschlossen hat, bricht, so gibt es zunächst politische Sanktionen, etwa das Aufhören einer bestehenden Koalition; der düpierte Partner wird das nächstemal entweder vorsichtiger sein oder geht Vereinbarungen über jenen Bereich, wo die Vereinbarungen nicht gehalten wurden, nicht mehr ein. Ich wiederhole: Es kann also nur politische Sanktionen geben.“

Dr. Withalm präzisierte: „Ich sehe in solchen Abmachungen... eine faktisch-politische Bindung, deren Geltung nicht auf den Normen de- positiven Rechts beruht und daher auch

nicht mit rechtlichen Mitteln durchgesetzt werden kann, sondern ihre Grundlage ebenso wie Gentlemen's Agreements im Wirtschaftsleben auf Treu und Glauben und in der Moral haben muß, ohne die eine konstruktive Politik einfach unmöglich ist.“

Allen Koalitionsübereinkommen der Zweiten Republik gemeinsam waren strenge Machtverteilung und relative Bedeutungslosigkeit des Parlaments.

Der bei den jeweiligen Wahlen erzielte Proporz galt grundsätzlich für fast alle Bereiche. Analog der Mandatszahlen erstreckte sich eine Machtteilung von der Ressortverteilung über verstaatlichte Banken und Betriebe bis zum „ehemaligen Deutschen Eigentum“ und zum Rundfunk. Bezeichnenderweise

wurde im Koalitionspakt 1959 festgestellt: „In Gesellschaften, in denen der Vorsitzende des Aufsichtsrates der SPÖ zugehört, wird ein Vorsitzender des Vorstandes bestellt, der der ÖVP angehört, und umgekehrt.“ Bei den Staatssekretären dominierte das Prinzip „Unser Mann beim Feind“. In den sogenannten „Schlüsselministerien“ wurde dem Ressortchef jeweils ein Staatssekretär anderer Couleur beigegeben.

Der „koalitionsfreie Raum“

Zentralstück jedes Arbeitsübereinkommens war die Lösungsmöglichkeit für Meinungsverschiedenheiten und Konflikte der beiden Großpax-teien. 1956 und 1959 wurde „zur Sicherung einer reibungslosen Zusammenarbeit“ ein Koalitionsausschuß, bestehend aus je fünf Ver-

tretern beider Parteien, einberufen. Dieser Koalitionsausschuß sollte „regelmäßig, jedenfalls aber im Falle von Differenzen zwischen den beiden Regierungsparteien oder deren Minister“ einberufen werden. Wurde über Regierungsvorlagen ein einstimmiger Beschluß erzielt so war dieser für die im Nationalrat vertretenen Koalitionsparteien verbindlich.

1963 ging man über diese Regelung hinaus und normierte einen schwerfälligen und kaum gangbaren Weg (in den „koalitionsfreien Raum“): Kam über eine vom zuständigen Bundesminister in der Bundesregierung eingebrachte Vorlage in der Bundesregierung kein Beschluß zustande, so war damit ein unter Vorsitz des Bundeskanzlers stehendes Verhandlungskomitee zu beschäftigen. War auch in diesem Ausschuß über die jeweilige Angelegenheit „eine Einigung nicht erzielbar“, hatte jede der beiden Regierungsparteien die Möglichkeit, nach Ablauf von drei Monaten (!) einen Initiativantrag im Parlament einzubringen. Kam es bei solchen „Initiativanträgen zwischen den Klubs“ binnen fünf Monaten zu keiner Einigung, konnte jede der beiden Parteien die „freie Mehrheitsbildung“ (selbständiges Vorgehen in zuständigen Ausschüssen und im Plenum des Nationalrates) herbeiführen. Der neue Koalitionspakt — oder wie immer er heißen mag — wird zeigen, ob in neuen Koalitionsmodellen ein Maximum an Demokratie und Transparenz zu verwirklichen sein wird.

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