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Der bretonische Dickschädel

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Es wird einsam um den interimistischen Staatspräsidenten Alain Poher, der für einige Augenblicke berechtigte Hoffnungen hegte, die Nachfolge de Gaulies anzutreten und ein geändertes Regime in Frankreich zu errichten. Schon vor dem ersten Wahlgang hatten sich seine unmittelbaren Gesinnungsfreunde in das gaullistische Lager gerettet. Sie folgten der Einladung Pompidous, der eine Erweiterung seiner Mehrheit bis in die Reihen des Zentrums plante.

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Es wird einsam um den interimistischen Staatspräsidenten Alain Poher, der für einige Augenblicke berechtigte Hoffnungen hegte, die Nachfolge de Gaulies anzutreten und ein geändertes Regime in Frankreich zu errichten. Schon vor dem ersten Wahlgang hatten sich seine unmittelbaren Gesinnungsfreunde in das gaullistische Lager gerettet. Sie folgten der Einladung Pompidous, der eine Erweiterung seiner Mehrheit bis in die Reihen des Zentrums plante.

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Duhamel, Chef der Fraktion „Fortschritt und moderne Demokratie“, hatte ohne merkliches Zögern Poher verlassen. Der gemäßigte Pleven, einstens wichtige Stütze der IV. Republik und nach wie vor überaus angesehener Parlamentarier, zeigte deutliche Reserven gegenüber dem Senatspräsidenten. Er warf ihm vor, eine verfälschte und von den Kommunisten abhängige Mitte zu begründen. Die einflußreichen Bürgermeister von Nizza und Lyon, welche ursprünglich die Kandidatur Pohers förderten, rieten dem Einsamen, das Spiel aufzugeben und in der erneuerten konservativliberalen Partei die zweite Rolle, die des Mahners und Mentors zu spielen. Selbst der engste Mitarbeiter Pohers, Sudreau (ehemaliger Rautenminister im Kabinett Pompidou), der dessen Wahlkampf organisiert hatte und im Falle eines Sieges mit Wahrscheinlichkeit als Ministerpräsident ausersehen war, distanzierte sich öffentlich.

Eigentlich sind nur noch Lecanuet und Abelin (Generalsekretär der Zentrumspartei) in der Kompanie des Senatspräsidenten verblieben. Sie kultivieren die Intransiigenz des Rretonen, der bereits weiß, daß seine Chancen im zweiten Wahlgang außergewöhnlich gering sind. Die Frage will nicht verstummen, warum Poher so hartnäckig an seiner Kandidatur festhält, obwohl selbst die eigene Sekretärin den Rückzug anempfohlen hatte. Eine Erklärung für diesen Starrsinn wird man in der Persönlichkeit Pohers wie auch in den politischen Strukturen Frankreichs nach den Präsidentschaftswahlen zu suchen haben. Der Senatspräsident gehört zu jenem Typ von Männern, die hinter einer jovialen Miene und einer natürlichen Urbanität einen nicht zu unterschätzenden Willen verbergen. Poher hat mit einer Ausnahme in der Pariser Presse kein gutes Echo gefunden. Er wurde vom Fernsehen häufig benachteiligt. In den Nachrichtensendungen ist die Persönlichkeit eines Pompidou und Duclos viel markanter in den Vordergrund gerückt worden als die des interimisti-sohen Staatspräsidenten. Poher verfügte auch nicht über einen aktiven Parteiapparat, der sich für ihn mit derselben Energie eingesetzt häitte, wie dies die Kommunisten und Gaullisten für ilhre Männer taten. Er dürfte schlecht beraten gewesen sein, als er auf jeden direkten Kontakt mit den Wählern verachtete. Allein durch Pressekonferenzen und Fernsehansprachen wollte er die Bürger von der Richtigkeit seiner Thesen überzeugen. Eine infamie-rende unterirdische Flüsterpropaganda — Poher, der Kollaborateur, verrät Frankreich an Deutschland — mag ebenfalls den relativen Mißerfolg des Kandidaten erklären. Dem Vernehmen nach kämpft Poher den zweiten Wahlgang durch, um den Beweis zu erbringen, daß die Nation nicht in zwei gleichstarke Mächtegruppen aufgespalten ist Abseits der Gaullisten und Kommunisten sucht er eine dritte Alternative. Ist es durch die Aktion Pohers möglich, eine solche Kraft in Frankreich lebendig zu machen? Soziologisch gesehen sollte ein erneuertes Zentrum in der politischen Geographie des Landes eine Entfaltung finden können...

Während Pompidou eine Erweiterung der Mehrheit bereits im Juni 1968 vorgeschlagen hatte, triumphierten nach den letzten Parlamentswahlen die orthodoxen Gaullisten; die extremen Nationalisten, der liberale Flügel, geleitet von Giscard d'Estaing, und die verhaindlungs-bereiten Abgeordneten des Zentrums wurden in die Opposition getrieben. Das unglückliche Referendum trug das Seinige bei, um die vorübergehende Bindung der Linken mit den liberalen Elementen zu fördern. Der erste Schachzug Pompidous war taktisch geschickt, lag aber in der Natur der allfälligen Regierungsmehrheit. Der Ex-Ministerpräsident fand die Freundschaft Giscard d'Estaings und Duhamels. Er stellte in der Wahlnacht des 1. Juni der Nation eine Partei vor, deren liberale und europafreundliche Züge kaum zu verkennen sind. Diese Zusammenarbeit der jüngeren politischen Generation Frankreichs, aus den fortschrittlich konservativen und liberalen Kreisen muß als durchaus homogen beurteilt werden. Wie weit wird allerdings Pompidou mit seinem extrem rechten und reformrevolutionären Flügel fertig werden? Die Linksgaullisten unter Capitant und Vallon benützen jede Gelegenheit, um den Ex-Ministerpräsidenten zu bedrohen und ihm den Verrat geheiligter gaullistischer Prinzipien anzukreiden. Die Altgaullisten wiederum vermissen in den Erklärungen Pompidaus die starr Haltung, mit der General de Gaulle durch ein Jaihrzehnt die nationale und internationale Szene beherrscht hatte. Vielleicht kommt er doch wieder aus seiner Einsamkeit zurück und wird die Renegaten fürchterlich bestrafen, flüstern die Leute, welche dem autoritären Staate huldigen und die beste Ordnung im Bestehen paralleler Polizeiorganisationen und staatlicher Unterdrückungsmaßnahmen sehen. Soweit wir den Charakter Pompidous kennen, ist dieser Mann wahrlich nicht geneigt, der einen oder anderen Gruppe zu große Konzessionen einzuräumen.

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