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Der Vulkan Quebec

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Wie Schatten folgen zwei Leibwächter Jerome Choquette auf allen seinen Wegen, doch trotzdem hat der Justizminister von Quebec auch eine Pistole bei sich. Robert Bourassa, Quebecs junger Premierminister, behauptet: „Wir werden mit dem Terror leben müssen.“ Und dies, obwohl die Befreiung des britischen Diplomaten Cross aus der Hand der FLQ gelungen ist

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Wie Schatten folgen zwei Leibwächter Jerome Choquette auf allen seinen Wegen, doch trotzdem hat der Justizminister von Quebec auch eine Pistole bei sich. Robert Bourassa, Quebecs junger Premierminister, behauptet: „Wir werden mit dem Terror leben müssen.“ Und dies, obwohl die Befreiung des britischen Diplomaten Cross aus der Hand der FLQ gelungen ist

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Während die Parti Quebecois auf demokratische Weise für eine unabhängige Nation Quebec kämpft und bei den Aprilwahlen 23 Prozent der Stimmen erhielt, will die separatistische Splittergruppe der FLQ mit Hilfe des Terrors das gleiche Ziel schneller erreichen. Vor mehr als sieben Jahren begann die Front de Liberation du Quebec ihren „Freiheitskampf“ mit Bombenexplosionen. Nun hat die Erwürgung des Arbeitsministers Pierre Laporte und das Kidnapping des britischen Diplomaten James Cross die FLQ in den Brennpunkt des Weltinteresses gerückt.

Trotz der Aussetzung hoher Prämien sind die Mörder bisher auf freiem Fuß. Wohl gelang es, den Kidnapper Bernard Lortie in Montreal zu verhaften, doch den Sicherheitsbehörden unterlief bei dieser Aktion ein bizarrer Schnitzer. Die unter Mordverdacht stehenden Brüder Paul und Jacques Rose und ihr Kumpan Francis Simard blieben gleichzeitig 22 Stunden — in einer schrankartigen Nische — in der gleichen Wohnung versteckt, ohne daß sie erwischt wurden! Die drei entkamen, als Polizisten dieses Apartment unbewacht ließen, um sich mit einem Imbiß zu stärken. Die Episode war ein „Fressen“ für die Karikaturisten. Der „Toronto Star“ veröffentlichte das Bild einer nackten Schönen im Badezimmer, dessen Wand gerade von einer Bombe niedergerissen worden war, während zwei Montrealei Polizisten galant forschten: „Dürfen wir Madame zum Dinner einladen?“ Das Versagen der Sicherheitsbehörden wird dadurch erklärt, daß es der Polizei nicht gelang, Zellen der FLQ zu infiltrieren, weil diese als „Aufnahmsgebühr“ für neue Mitglieder die Verübung eines Terroraktes forderten. Anderseite wird behauptet, daß es der FLQ gelang, Polizeieinheiten zu infiltrieren.

Es gibt keine verläßlichen Schätzungen über die Stärke der FLQ, doch Minister Jean Marchand, des Regierungschefs Pierre Trudeau engster Mitarbeiter, hat eine Mitgliedszahl von 3000 erwähnt. Diese Mini-Schätzung steht allerdings in einem gewissen Widerspruch zu der Behauptung Marchands, der Abfall Quebecs — in einem Monat oder in einem Jahr — wäre zur Gewißheit geworden, wenn die Regierung nicht das Kriegsrecht proklamiert hätte. Was die Verbindung der FLQ mit Kuba, Algier und der Bewegung der Schwarzen Panther in den USA betrifft, ist man auf Vermutungen angewiesen, doch Anzeichen deuten darauf hin, daß es den Terroristen gelang, „zarte Bande“ zu knüpfen.

Noch sind die Mehrzahl der Quebecer für den Verbleib bei Kanada, doch die Separatisten sind eine starke und dynamische Minorität. Die Tatsache des bisherigen Mißerfolges der Polizei läßt darauf schließen, daß die Terroristen der FLQ bei der Bevölkerung weit mehr Unterstützung finden, als selbst Pessimisten befürchteten. Schon hat Montreals „Le Devoir“ — die einflußreichste Zeitung Quebecs — erklärt, daß „mehr gute Köpfe für die Separatisten arbeiten, als für jede andere Partei“. Die traditionelle Animosität zwischen Anglokanadiern und Frankokanadiern hat die Separatistenbewegung ebenso stimuliert, wie die Dominierung des Wirtschaftslebens durch amerikanische und anglokanadische Interessen. Kennzeichnend für die Stimmung in Quebec war die Bemerkung von General Dollard, Kommandeur der Truppen, die 1942 Dieppe zu erstürmen versuchten. Der pensionierte Heerführer bemerkte: „Wenn Quebec unabhängig wird, würde ich ganz bestimmt hier bleiben. Meine Ahnen landeten Anino 1717 und kämpften im Jahre 1759 gegen die Engländer...“ Kurz nachher erklärte Jean-Guy Cardinal, bis vor wenigen Monaten Unterrichtsminister von Quebec, daß einer seiner Vorfahren

— Narciaesse Cardinal — unter den Rebellenführern war, die im Jahre 1838 in Montreal hingerichtet wurden. Kaum jemals waren Quebecer so stolz auf ihre Vorfahren, die gegen die Briten kämpfton, wie in diesen Tagen. Rene Levesque, der dynamische Führer der separatistischen Parti Quebecois, schlägt aus dieser Stimmung Kapital und behauptet: „Trudeau ist kein Quebecois. Er ist mehr ein Elliott als ein Trudeau.“ Trudeaus Mutter, eine geborene Elliott, ist schottischer Abkunft.

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