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Die Regierungen Europas verweigern die Modernisierung ihrer Politik im EU-Rat – zu ihrem eigenen Schaden. Das EU-Parlament wird so zum Gewinner des Vertrages von Lissabon.

Herman Van Rompuy werden dieser Tage wenige Komplimente gemacht: Er sei mausgesichtig, grau, schweigsam, fade, ein „Hausmeister“ (Johannes Voggenhuber), ein „Frühstücksdirektor“ (Franz Fischler). Illusionslosen Realismus allerdings können dem Flamen selbst die harschesten Kritiker nicht absprechen. Vergangenen Donnerstag gegen 20.30, kurz nachdem ihn die 27 EU-Staats- und Regierungschefs in Brüssel zum EU-Präsidenten ernannt hatten, erhob sich der Belgier – und vernichtete in seiner ersten Wortmeldung als EU-Präsident jede „Vision“ von einer noch engeren Vernetzung der EU-Mitgliedstaaten: „Die Debatte über die Institutionen Europas ist nun für lange Zeit beendet.“

Was für ein Einstand. Doch selbst sonst als „glühende Europäer“ geltende Staatschefs wie der Luxemburger Jean Claude Juncker nickten den Satz ab. Mehr noch, man applaudierte und ging dann nach draußen, um die Inthronisierung Van Rompuys und der Britin Cartherine Ashton als neue EU-Außenbeauftragte zu loben und als einen „entscheidenden Schritt vorwärts“ für Europa zu bezeichnen.

Dass tags darauf ein Sturm der Entrüstung über die Regierungschefs hereinbrach, scheint die Politiker nicht weiter bekümmert zu haben. Der deutschen Kanzlerin Angela Merkel blieb es vorbehalten, in einer Randbemerkung das politische Kalkül hinter den Ernennungen auf den Punkt zu bringen: „Entscheidend ist doch, dass die beiden nichts Falsches sagen, wenn sie mit Moskau oder Washington telefonieren“, so Merkel.

Das umreißt gut die Kompetenzen oder Nicht-Kompetenzen jener beiden Personen, die ab Dienstag Europas „Gesicht“ abgeben sollen, Aushängeschilder der „EU neu“, die mit dem Lissabon-Vertrag angeblich „zukunftsfähig“ gemacht wurde.

Neun Jahre lang war diskutiert, gestritten, konzipiert, verworfen, abgestimmt, blockiert, umgeschrieben und wieder abgestimmt worden. Ist Europa, sind seine Institutionen der Erweiterung auf 27 Staaten nun eher gewachsen als vorher, so wie die Autoren der Initiative, Gerhard Schröder und Jacques Chirac, das bei jenem EU-Gipfeltreffen im winterlichen Nizza im Jahr 2000 gefordert hatten?

Geringere Aktionsfähigkeit

Die Antwort darauf ist in ihren Details überraschend. Denn es zeigt sich, dass die Staaten – immer bedacht nehmend auf ihre Eigeninteressen – diese in Summe erheblich beschädigt haben könnten. Dabei geht es zunächst nicht um die Bestellung Van Rompuys oder Ashtons als vielmehr um die Handlungsfähigkeit des EU-Ministerrates. Der EU-Verfassungs-Vertrag sah als Kernelement eigentlich vor, Vetoentscheidungen im Rat weitestgehend abzuschaffen. Mehrheitsentscheidungen sollten Blockaden gemeinsamer Vorhaben durch Einzelstaaten verhindern. Doch das existierende Vetorecht wird nun auf Betreiben zahlreicher Staaten erst in fünf Jahren eingeschränkt – wenn überhaupt. Damit bleibt der Rat der Minister wie bisher ein zum Stillstand neigendes System. Die Funktion des Ratspräsidenten und des Außenbeauftragten hat ebenfalls entscheidende Einschränkungen erfahren. Aus eigentlich geplanten Initiativengebern und Entscheidern, aus einem Chef der Staatschefs und einem echten EU-Außenminister, wie der Entwurf des Verfassungskonvents das vorsah, wurden in Lauf der Verhandlungsjahre Sekretärs- und Koordinierungsämter ohne politische Dynamik. Was für die Ausgesuchten Van Rompuy und Ashton also viel entscheidender ist als ihr mangelnder Glamour ist das Fehlen jeder wirklichen Befugnis. Nun hat also die EU-Außenpolitik tatsächlich eine wie vom ehemaligen US-Außenminister Kissinger geforderte Telefonnummer (Ashtons Brüsseler Büronummer: 00322/2816111), doch wer dort anrufen sollte, bleibt fraglich, da doch die entscheidenden Personen immer noch in Berlin, Paris und London sitzen.

Während die Regierungen der Mitgliedsstaaten ihre EU-Formation auf diese Art nicht den neuen Herausforderungen anpassen, gibt es andererseits eine entscheidende Aufwertung der demokratisch gewählten Konkurrenz-Institutionen.

Demokratische Mitsprache

So sind die nationalen Parlamente wesentlich mehr als bisher in die Unionspolitik eingebunden. Jeder Gesetzesvorschlag der EU-Kommission wird beispielsweise in Zukunft dem österreichischen Nationalrat, erst danach dem EU-Parlament und dem EU-Rat zugeleitet. Das neue Recht scheint das Hohe Haus allerdings zu überfordern. Nationalratspräsidentin Barbara Prammer spricht von „schwierigen Fragen“, Parlaments-Juristen beklagen, die heimischen Politiker würden sich schlicht nicht um das Thema „scheren“. So kommt es, dass die Möglichkeiten des Lissabon-Vertrages durch das Parlament in Wien vermutlich monatelang nicht genützt werden können.

Die gewichtigste Aufwertung erfährt das EU-Parlament selbst. Es entscheidet ab Dienstag über die meisten EU-Rechtsangelegenheiten mit. Abseits der Außen und Sicherheitspolitik kann kaum noch eine Richtlinie ohne die Zustimmung des einzig demokratisch gewählten Organs der Union in Kraft treten. Das gilt in erster Linie für die Agrarpolitik, die rund 46 Prozent des Gemeinschaftsbudgets verbraucht. Bisher durfte das Parlament den von der EU-Kommission vorgelegten Plänen lediglich zustimmen. Ganz ähnlich soll es sich künftig mit den Fragen der Justiz und der inneren Sicherheit verhalten.

Nervosität des Rates

Gerade in letzterem Bereich zeigte sich diese Woche, wie nervös Rat und Kommission wegen der neuen Befugnisse des Parlaments reagieren. Etwa versuchten sie mit aller Kraft noch vor Inkrafttreten des Lissabon-Vertrages eine Richtlinie durchzupeitschen, die den Austausch von Bankdaten zwischen den USA und Europa regelt um damit einer Blockade durch das EU-Parlament zu entgehen.

Selbst Befürworter von Law und Order im EU-Parlament wie Ex-Innenminister Ernst Strasser protestierten nun gegen die versuchte Umgehung des Parlaments: „Das ist nicht ordentlich, das ist kein Vorgehen, wie wir es wünschen und billigen können.“ Und SP-Delegationsleiter Jörg Leichtfried ergänzt: „Das ist ein Skandal.“

In seinem gestärkten Selbstbewusstsein bereitete das Parlament in dieser Woche auch der EU-Außenbeauftragten Ashton einen geharnischten Empfang. Ashton wollte ihr Amt als Außenbeauftragte und Vizepräsidentin der EU-Kommission antreten, ohne sich dem eigentlich verpflichtenden Hearing durch die EU-Abgeordneten unterzogen zu haben. Doch nach Protesten aus Strassburg muss sie sich nun am Dienstag einer Befragung durch den außenpolitischen Ausschuss stellen. Dieser strengen „Prüfung“ durch die Volksvertreter entzieht sich Herman Van Rompuy weil er allein den Regierungen Europas untersteht. Das Parlament träumt dagegen schon von der Direktwahl aller EU-Spitzenfunktionäre.

Ob Herman Van Rompuy dabei Chancen hätte, ist fraglich, steht er doch auf dem Standpunkt: „Es ist völlig egal, was ich denke. Meine Rolle besteht darin, den Konsens zu suchen.“ Zitate wie diese sind Wasser auf die Mühlen jener, die ein Haiku des Hobby-Lyrikers Rompuy als Warnung für die Zukunft Europas nehmen: „Das letzte Blatt fällt. / Kahle Pfosten stehen heraus. / Der Winter bricht heran“.

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