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Die Wandlung der Kirche

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Seit die Weisung an die Kleriker, sich von politischen Ämtern fernzuhalten und sich in politische Angelegenheiten nicht einzumengen, ergangen ist, machte die Kirche und auch die organisierte Laienschaft in Österreich einen echten Apolitisie-rungsprozeß durch. Im großen und ganzen erhielt der Satz vom Rückzug der Kirche in die Sakristei“ seine Bestätigung. Damit mußte die Kirche zwangsläufig auch zu jenen politischen Parteien, die ihr traditionell nicht nahestanden — insbesondere zur SPÖ —, eine neue Stellung einnehmen. Und die österreichische Kirche hat dies ohne Zweifel auch getan.

Zusammenfassend gesagt, ist dieser historische Entwicklungsprozeß somit durch drei Punkte gekennzeichnet:

1. Die Kirche widmet sich vornehmlich seelsorglichen Interessen.

2. Die Kirche löst sich von ihren traditionellen Bindungen, die unter dem Schlagwort des „Politischen Katholizismus“ geprägt sind; sie verstimmt freilich zahlreiche katholische Laien, die in der' ÖVP tätig sind und diese Haltung der Kirche nicht verstehen können.

3. Die Kirche gewinnt zur SPÖ ein neues Verhältnis, weil sich die SPÖ in verschiedenen Fragen — insbesondere der Konkordatsregelung — nachgiebig gezeigt hat; die Kirche respektiert überdies den Umstand, daß es auch Katholiken gibt, die Sozialisten sind.

Es zeigt sich, daß die Katholiken in der ÖVP eine Reihe von Problemen zu bewältigen hatten und haben, die denen in der SPÖ nicht nachstehen. Sind doch 1945 in die ÖVP da und dort Gruppen eingesickert, die aus weltanschaulich nichtkatholischen Kreisen abstammen. Überdies war man von Wahl zu Wahl in der ÖVP bestrebt, das sogenannte „nationale Lager“ anzusprechen; sicherlich nicht aus Liebe zu diesem, sondern vielmehr aus einem Akt der politischen Selbsterhaltung, der bei der Entscheidung um ein Mandat jedoch eine sehr wesentliche Rolle spielt.

Als jedoch schließlich das Bemühen der ÖVP um Interkonfessio-nalität an der Unduldsamkeit des sogenannten „Dritten Lagers“ scheiterte, kamen auch die Programme der ÖVP zu klareren Formulierungen. Hat doch das „Dritte Lager“ die ÖVP vornehmlich aus weltanschaulichen Ressentiments durchweg nicht gewählt. Seine Parole „Lieber rot als schwarz“ ist auch heute weiterhin aufrecht.

Aber trotz des Einsickerns von Fremdelementen in die ÖVP ist sie bis zum heutigen Tag dem Traditionskatholizismus verhaftet geblieben. Die manchmal aufdringlich publizistisch in Erscheinung tretenden nichtkatholischen Fremdgruppen in der ÖVP haben es niemals in größerem Rahmen zu Funktionärsehren gebracht, geschweige denn sind sie in Spitzenpositionen vorgestoßen.

Aber das Dilemma, vor dem sich geistig rege Katholiken in der ÖVP — vor allem in den jüngeren Jahrgängen — sehen, ist die Frage nach der Vereinbarkeit Oer Aussage der ÖVP, eine christliche Partei sein zu wollen, mit der allgemeinen Haltung der Kirche. Die ÖVP ist und bleibt eben eine politische Partei, für die die Spielregeln der Politik gelten und die nur versuchen kann, für das politische Spiel sich selbst eigene Spielregeln zu geben. Die Forderung an sich selbst, eine christjiche Partei zu sein, bedeutet die absolute Festlegung auf einen ganz bestimmten Richtungspfeil. Aber es könnte doch immerhin der Fall eintreten, daß die Kirche als Sprecherin für das Christentum den Richtungspfeil dorthin stellt, wo dieser für die ÖVP zur Einbahnstraße führt.

Es ist daher heute schon klar, daß die Firmierung als christliche Partei nicht nur unzweckmäßig, sondern auch grundsätzlich verfehlt erscheint. Vielmehr müßte die ÖVP ihr Wollen so formulieren, daß sie versuchen will, eine Politik nach christlichen Grundsätzen zu betreiben.

Dieser Unterschied wird ohne Zweifel wesentlich und von tragender Bedeutung sein.

Es kann nicht verschwiegen werden, daß die Katholiken in der ÖVP über die Sozialistische Partei mehr als nur traditionelle Ressentiments hegen.

Sehen wir ab von dem Faktum, daß sich die SPÖ bis zu ihrem neuen Programm im Jahre 1958 zum Linzer Parteiprogramm, dessen Anti-kirchlichkeit nichts zu wünschen übrigläßt, bekannt hat. Sehen wir auch davon ab, daß die SPÖ von 1945 bis zum heutigen Tag am nationalsozialistischen Ehegesetz festhält und auch die übrigen Konkordatsfragen nur schleppend und auf Grund entsprechender Zugeständnisse der Kirche und der ÖVP behandelt hat.

Sehen wir auch davon ab, daß in der SPÖ jahrelang kein einziges Regierungsmitglied katholisch war und der einzige praktizierende Katholik, Franz Olah, nicht zuletzt aus diesem Grund stets schweren Vorwürfen aus den Reihen seiner ehemaligen Parteifreunde ausgesetzt war.

Was viel schwerer als alles das wiegt, ist der Umstand, daß die SPÖ keinen echten Versuch gemacht hat, in ihren eigenen Reihen mit dem christlichen Mißverständnis ernsthaft aufzuräumen.

Aus all diesen Erfahrungen, die wohl jeder Katholik täglich immer und immer wieder machen kann, ist abzulesen, daß die Versuche der SPÖ, eine ehrliche und echte Toleranz glaubhaft zu machen, einfach im gegenwärtigen Zeitpunk gescheitert sind. Die Katholiken in der ÖVP müssen, daher folgerichtig den Katholiken in der SPÖ ehrlichen Respekt entgegenbringen. Ist es doch für einen praktizierenden Katholiken sicherlich ein Wagnis, im gegenwärtigen Zeitpunkt in der SPÖ für seine Gedanken zu wirken. Daraus ergibt sich aber auch schlüssig, welche Hauptaufgabe zum Beispiel die Arbeitsgemeinschaft sozialistischer Katholiken haben sollte: In die SPÖ hineinwirken und innerparteilich laienapostolisch tätig sein.

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