Boris Johnson im Wind - © APA / AFP / Justin Tallis (Bildbearbeitung: Rainer Messerklinger)

Johnson: Borexit und Ende

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Boris Johnson hat angekündigt, als britischer Premierminister im Herbst zurückzutreten. Das vorläufige politische Ende eines Party-Populisten.

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Boris Johnson hat angekündigt, als britischer Premierminister im Herbst zurückzutreten. Das vorläufige politische Ende eines Party-Populisten.

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E inen Plan für die Wirtschaft wollte er am Donnerstag der Vorwoche vorstellen – und musste dann doch zurücktreten. In klassischen politischen Maßstäben des 20. Jahrhunderts hätte Boris Johnson das eigentlich schon vor Jahren tun müssen. Nun aber hatten 14 Regierungsmitglieder am Mittwoch der Vorwoche ihren Rücktritt eingereicht. Bei einer Fragestunde im Parlament hatte es am selben Tag direkte und indirekte Rücktrittsaufforderungen aus der eigenen Partei gehagelt. Und das war dann doch zu viel für BoJo. Nun also wollen die Tories bis Oktober die Nachfolge Johnsons als Parteichef regeln. Bis dahin will Johnson auch noch im Amt bleiben. Auch das ist umstritten und sorgt für Wirbel in der eigenen Partei und bei der Opposition.

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Aber was sonst: Wirbel, Affären, aufbrausendes Temperament, Pannen, rüpelhaftes Benehmen, Ausrutscher, Fettnäpfe – all das waren die elementaren Bausteine des Erfolgsmodells Boris Johnson. Sturmfrisur, schiefe Krawatte, verrutschter Radhelm, offensives Gähnen bei diversen offiziellen Anlässen – den konservativen Rotzlöffel zu mimen, der sich ob seiner sozialen Stellung um keine Konventionen scheren muss, den Hedonisten – er war und ist sehr glaubhaft in dieser Rolle.

Der beinharte Machtpolitiker

Dabei steckt hinter der schrulligen Fassade dieses anscheinend nie erwachsen gewordenen Menschen ein beinharter Machtpolitiker. Als es 2019 darum ging, Theresa May von der Parteispitze der Tories zu verdrängen, als es darum ging, die konservative Partei auf ihn selbst als Zugpferd einzuschwören, da war nichts zu bemerken vom tapsigen Tanzbären auf dem politischen Parkett. Johnson war damals Außenminister in Mays Kabinett. Die damalige Premierministerin Teresa May war ein leichtes Opfer für ihn. Eine Politikerin der Argumente, die Exzentrik alleinig in der Auswahl ihrer Schuhe auslebte.

Im Umgang mit Russland agierte Großbritannien unter Boris Johnson letztlich europäischer als viele Europäer.

Johnson mimte den Clown, der die Schenkelklatscher-Witze für alle auf Lager hatte – ohne Argumente. Aber ein Verkäufer, ein Zugpferd. Und genau so einen brauchten die Tories angesichts stockender Brexit-Verhandlungen und einer zunehmend Brexit-kritischen Öffentlichkeit. Einen Gegenpol. Seine Kür zum Parteichef, die war also mehr pragmatischen Überlegungen geschuldet als Liebe. Johnson lieferte – und fuhr den größten Wahlsieg für die Tories seit fast 40 Jahren ein. Denn eines kann er eben, der BoJo: verkaufen. Lieferengpässe etwa, die es nach dem Austritt aus der EU gab – den er selbst ja vorangetrieben hatte –, die Johnson noch als Außenminister sehr erfolgreich Teresa May umhängte. Oder Mängel auf dem Arbeitsmarkt – ebenfalls durch den Brexit. Oder auch Versäumnisse in der Corona-Pandemie. Mal wurde völlig geöffnet, mal komplett geschlossen, mal gab es Maßnahmen, dann aber wieder keine – ganz unabhängig von den Fallzahlen.

Lediglich die Impfkampagne lief einigermaßen. Großbritannien hatte die höchste Sterberate in Europa. Aber dann trank Johnson Bier in einem Pub begleitet von der Presse und sah dabei aus, als hätte er die vergangenen drei Tage nichts anderes getan – und alle fanden es lustig.

Politik nach Lust und Laune

In der Pandemie wurde deutlich, wie Johnson Politik macht: Nach Lust und Laune, keine Gelegenheit auslassend, Schlagzeilen zu machen. War die eigene Partei dagegen, dann zog er Maßnahmen eben mit der Opposition durch. Sträubte sich das Kabinett in der Angelegenheit, dann wurde es umgebildet. Und es war die Pandemie, die auch deutlich machte, wie es Johnson mit Regelwerken hält: Er und seine Weggefährten feierten während Lockdowns Gartenparties in Downing Street 10. Aber hatte man etwas anderes erwartet? Berater Dominic Cummings war es dann, der zum Bauernopfer wurde. Eine interessante Person, dieser Dominic Cummings übrigens. Ist er doch der Mann, der Johnson über viele Jahre begleitet und beraten hatte. Dirigent der Brexit-Kampagne „Vote leave“ war er. Später dann Sonderberater Johnsons. Als solcher leitete er auch Kabinettssitzungen – bis er dann überraschend ausschied, um Johnson postwendend öffentlich abzukanzeln. Johnson, so Cummings, sei „nicht fit für den Job“. Dem Ex-Berater werden übrigens allerbeste Beziehungen nach Russland nachgesagt – bis in Regierungskreise in Moskau. Und schließlich tauchten in den Finanzierungsmodellen der Vote-Leave-Kampagne auch Geldgeber-Spuren nach Moskau auf. Johnson ging darauf aber nie öffentlich ein. In den Seilen zu hängen, in Turbulenzen zu stecken – ohne all dem funktioniert das Konzept Johnson nicht.

Comiczeichner illustrieren Chaos gerne mit Staubwolken, aus denen nur hie und da eine Hand, ein Bein oder ein Knüppel herauslugt. Was tatsächlich passiert, lässt sich nur erahnen. Und ganz so verhält es sich mit Johnson. Eine Staubwalze, die alles verschluckt. Viel Staub, ein Wirbelwind an Themen, wenig Klarheit. Klar gegen Putin Oder nur punktuell. Wie im Krieg Russlands gegen die Ukraine. Da bewies Johnson für viele überraschend, dass ihm Logik keinesfalls fremd ist: Trotz Brexit, trotz der finanziellen und auch ideologischen Nähe der Brexit-Kampagne zu Russland.

Letztlich war es bisher aber Großbritannien, das auf dem Europäischen Kontinent das Heft in der Hand hatte, wenn es darum ging, die Ukraine nach Putins Überfall zu unterstützen. Was diese Krise angeht, war Johnson jedenfalls bisher so klar wie kaum ein anderer europäischer Politiker – und so klar wie er selbst bisher nur in der BrexitKampagne. Während Deutschland zögert und Frankreichs Macron innenpolitisch zur lahmen Ente mutiert ist, hält Großbritannien in der Sache eine konsequente Linie. Und genau hier tut sich das Loch auf, das der Abgang Johnsons hinterlässt.

Denn ganz gleich ob Großbritannien nun Mitglied der EU ist oder nicht: Im Umgang mit Russland agierte Großbritannien unter Johnson letztlich europäischer als viele Europäer. Aber es war dann eben doch eine Affäre, eine Schlagzeile zu viel, die Johnson das Bein stellte. Die Pikanterie daran: Dieses eine Mal ging es eben nicht direkt um Johnson selbst. Er hatte einen Tory-Mandatar befördert, obwohl bekannt war, dass diesem sexuelle Übergriffe vorgeworfen wurden. Das war der unmittelbare Auslöser der jetzigen Krise. Oder viel eher: Das Pint zu viel, auf das das Kopfweh folgt.

Dieser Artikel erschien unter dem Titel "Borexit als logisches Ende" in der Ausgabe 28/22

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