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Kommt der Euro später?

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Kommt die Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) oder kommt sie nicht? Derzeit wird heftig spekuliert, ob ein Aufschub sinnvoll ist oder nicht.

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Kommt die Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) oder kommt sie nicht? Derzeit wird heftig spekuliert, ob ein Aufschub sinnvoll ist oder nicht.

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Die Erkenntnis greift allmählich um sich, daß es wenig Sinn haben wird, wenn am 1. Jänner 1999 möglicherweise Luxemburg allein mit sich selbst in die 3. Stufe der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) eintritt und ab 2002 auf seinem Staatsgebiet mit dem Euro bezahlt wird - alles aus dem einfachen Grund, weil ansonsten kein anderes Land unter den 15 EU-Mitgliedern (wie es zumindest derzeit der Fall ist) die sogenannten Konvergenzkriterien erfüllt.

Sind diese Kriterien, deren Erfüllung quasi die Eintrittsberechtigung zur WWU darstellen, aber überhaupt sinnvoll? Und was passiert, wenn doch noch einige weitere EU-Länder die Kriterien erfüllen und eine „Kern-Union" im Sinne des Maastrichter Vertrages bilden können, die restlichen der 15 aber „draußen vor der Tür" bleiben müssen? Bedeutet das die Spaltung Europas?

Zu diesen Fragen werden derzeit täglich viele Seiten beschrieben, und daher soll hier nicht weiter darauf eingegangen werden. Wir beschäftigen uns vielmehr mit anderen Möglichkeiten, die gegenwärtigen Probleme im europäischen Einigungsprozeß Zu überwinden und das Scheitern des Projekts WWU zu verhindern.

Eine solche Möglichkeit wäre die simple Aufweichung der Kriterien oder einzelner von ihnen, also ihre Lockerung, um weiteren - womöglich allen - Ländern die Teilnahme zu ermöglichen. Auch diesen Ansatz verfolgen wir nicht weiter; seine Umsetzung erscheint nicht unproblematisch, weil dadurch die Glaubhaftigkeit und Seriosität des gesamten Projekts in Frage gestellt würde.

Was also tun? Es gibt einen weiteren Vorschlag, nämlich die Verschiebung des Beginns der 3. Stufe zur WWU, der wie erwähnt derzeit zum 1. Jänner 1999 angestrebt wird. Um die Sinnhaftigkeit dieses Vorschlags zu prüfen, rekapitulieren wir kurz, worin die gegenwärtigen Probleme bestehen.

Die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion soll vertragsmäßig eine „Stabilitätsgemeinschaft" sein, das heißt, sie soll nur aus solchen Ländern gebildet werden, die eine solide oder, wie man sagt, „gesunde" Wirtschafts- und vor allem Finanzpolitik aufweisen können. Als Inbegriff solcher Gesundheit wurden im Maastrichter Vertrag bekanntlich definiert: Niedrige Inflationsrate, niedriges Budgetdefizit, geringe Staatsverschuldung, niedrige Zinssätze und stabile Wechselkurse. Die ziffernmäßige Festlegung dessen, was als „niedrig", „gering", „stabil" und damit überhaupt als „gesund" betrachtet werden darf, wurde im genannten Vertrag in sehr ambitionierter Weise vorgenommen — jedenfalls so ambi-tioniert, daß die betreffenden Werte für den Großteil der EU-Mitglieder kaum oder nur sehr schwer erreichbar erscheinen. (Und zwar bis 1997; denn auf Basis der Daten dieses Jahres wird im Frühjahr 1998 entschieden, wer ab 1999 dabei ist. Was dieser Zeitdruck bedeutet, wird man auch in Osterreich demnächst verspüren.)

Die gegenwärtige schwächliche Konjunkturverfassung hat wohl einen endgültigen Strich durch die Bemühungen vieler Länder gemacht, weil dadurch insbesondere die Staats -finanzen stark belastet und die Budgetdefizite in die Höhe getrieben wurden und immer noch werden. 1995 hat nicht einmal Deutschland die Kriterien „niedriges Budgetdefizit und geringe Staatsschuld" erfüllt, und 1996 wird nicht besser sein. Aber „abgerechnet" wird wie erwähnt erst nach 1997. Schlimmer noch ergeht es bezüglich des Budgets Frankreich, und eine Wirtschaftsunion ohne Frankreich und Deutschland erscheint vielen zu Recht als sinnlos. Neben der erwähnten Möglichkeit einer Kern-Union wird verschiedentlich eben auch die Option einer Verschiebung des Starts zur 3. Stufe der WWU diskutiert, wenn auch in Verschwiegenheit, um Unruhen und Spekulationen zu vermeiden.

Ohne einen solchen Schritt in irgendeiner Weise zu favorisieren, sollen in der Folge Vor- und Nachteile sowie die Konsequenzen erörtert werden, würde dieser Weg eingeschlagen.

Zunächst stellt sich allerdings die Frage, ob ein solcher Aufschub nach den geltenden Verträgen überhaupt möglich ist. Ks würde zu weit führen, in die Komplikationen des Artikels 109j des Vertrags über die Europäische Union und des dazugehörigen Protokolls einzutauchen. Nach Auffassung der meisten Interpreten dürfte eine Verschiebung mit den Bestimmungen aber vereinbar sein, und schließlich steht ab Ende März die große Regierungskonferenz an, bei der gegebenenfalls entsprechende Weichen gestellt werden könnten.

Wenn das so ist, gibt es nun zweifellos gute Gründe für eine Verschiebung. Sie würde vor allem eine Reihe von Ländern zumindest teilweise von dem Druck entlasten, ausgerechnet in der gegenwärtigen konjunkturellen Flaute auch noch eine restriktive Fiskalpolitik betreiben zu müssen, wodurch die ohnehin bereits viel zu hohe Arbeitslosigkeit weiter verschärft, die Akzeptanz des europäischen Projekts in der Bevölkerung weiter verringert und politischer Unruhe Vorschub geleistet würde. Die Hoffnung wäre größer, bei einem wieder einsetzenden konjunkturellen Aufschwung die fiskalischen Kriterien leichter erfüllen zu können. Eine der wenigen unbestrittenen Tatsachen im Zusammenhang mit der Währungsunion ist ja, daß ihre wohltuenden Effekte umso größer sind, je mehr Länder teilnehmen, weil dann auch eine größere Zahl der immer mit Unsicherheit behafteten Wechselkursrelationen wegfällt.

Was wären aber die Konsequenzen und worauf wäre besonderes Augenmerk zu richten, entschließt man sich zu diesem Schritt? Entscheidend wird sein, wie die Verschiebung konkret gehandhabt wird. Wird sie als schwammiges Nichts präsentiert, das in verschiedenster Richtung und somit auch als Ausdruck des Scheiterns des Projekts Europäische Union überhaupt interpretiert werden kann, dann werden die Finanzmärkte beginnen, jede einzelne Währung aufs . Neue auf ihre Standfestigkeit zu prüfen und zu hinterfragen, ob die einzelnen Regierungen weiterhin eine zurückhaltende Fiskalpolitik betreiben, obwohl sie es nicht mehr müßten. Eine spekulative Welle würde in der Folge in hohem Ausmaß Unsicherheit und Instabilität erzeugen. Da zumindest angenommen würde, daß Deutschland bei einer stabilitätsori-entierten Politik bleibt, würden Investören vermehrt in DM veranlagen, diese damit weiter stärken und alle anderen schwächen.

Negative Entwicklungen würden sich vor allem ergeben, wenn kein eindeutiger neuer Zeitpunkt zum Beginn der letzten Stufe der WWU fixiert wird, diese also auf unbestimmte Zeit vertagt wird. Niemand würde mehr die Investitionen in Angriff nehmen, die nötig sind, um Informa-tions- und Zahlungssysteme auf die neue Währung umzustellen. Erforderliche Gesetzesanpassungen würden entschlummern, die Herstellung der Rechtssicherheit für die Währungsumstellung würde nicht weiterverfolgt. Der Reformelan würde erlahmen und die Gefahr von Störungen von außen zunehmen.

Schlimmer noch wären bei einer Verschiebung auf unbestimmte Zeit die politischen Konsequenzen. Etwa ein Jahr vor seinem Tod hat Präsident Mitterrand in einer Rede vor dem Straßburger Europaparlament darauf hingewiesen, daß ein Scheitern oder sang- und klangloses Auslaufen des Projekts Europäische Union einen Rückfall in den Nationalismus bedeuten würfle, und Nationalismus bedeute - wie gerade jetzt ein Beispiel in Europa selbst zeige - nichts anderes als Krieg. Der frühere EU-Kommissionspräsident Jacques Delors hat neulich diese Formulierung zwar als vielleicht überspitzt, im Prinzip aber als richtig qualifiziert. Durchaus ähnlich denken bekanntlich auch einige maßgebende deutsche Politiker.

Soll eine Verschiebung also Sinn haben, dann muß ein eindeutiges neues Datum festgelegt werden; es darf die Verschiebung wohl nicht mehr als zwei bis drei Jahre ausmachen, um ernstgenommen zu werden, und es muß schließlich unmißverständlich klargemacht werden, daß es die einzige und letzte Verschiebung sein wird. Nur unter diesen Bedingungen sollte der Idee eines Aufschubs nähergetreten werden. Aus all den geschilderten Gründen ist aber anzunehmen, daß eine solche Entscheidung (sofern nicht überhaupt eine andere Lösung angestrebt wird) erst sehr spät - etwa im Jahr 1998 -fallen wird.

Im zweiten Halbjahr 1998 wird Österreich den EU-Vorsitz innehaben -spannende Zeiten stehen da bevor.

Der Autor ist

freier Publizist in Wien.

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