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Schüssel wäre wahnsinnig!

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Die Feststellung mag schockieren, aber sie erscheint notwendig: Es ist unwahrscheinlich geworden, daß nach der Dezemberwahl 1995 wieder eine große Koalition zustande kommt. Eigentlich müßte man sagen, daß diese Regierungsform - zumindest in der bisherigen Form - tot ist.

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Die Feststellung mag schockieren, aber sie erscheint notwendig: Es ist unwahrscheinlich geworden, daß nach der Dezemberwahl 1995 wieder eine große Koalition zustande kommt. Eigentlich müßte man sagen, daß diese Regierungsform - zumindest in der bisherigen Form - tot ist.

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Zu dieser Schlußfolgerung gelangt man fast zwingend, wenn man sich die Entwicklung der letzten Monate und die Position der Akteure kritisch-nüchtern vor Augen führt. Beginnen wir bei der SPÖ. Sie hat Politik stets als permanenten Prozeß eines erkämpften sozialen Fortschrittes betrachtet. Dementsprechend drängen Sozialdemokraten als Oppositionelle oder Sozialpartner auf die Durchsetzung von Forderungen.

In der Rolle der Regierung muß konsequenterweise alles unternommen werden, den Menschen gegenüber als Vermittler von Wohltaten aufzutreten. Jemandem etwas wegzunehmen, erscheint nur dann praktikabel, wenn davon „privilegierte" Gruppen betroffen sind, für die man sich politisch nicht verantwortlich fühlt. Die Wählerentscheidung für die SPÖ ist demnach eine Beteiligung an einem wohlorganisierten Prozeß kollektiver Interessendurchsetzung.

Es liegt auf der Hand, daß dieses politische Konzept nur in bestimmten Phasen der gesellschaftlichen Entwicklung tragfähig ist. Seinen Triumph erlebte es, als Bruno Kreis-ky 1970 die Macht angesichts eines konsolidierten Staatshaushaltes und einer stürmisch expandierenden Wirtschaft übernahm. Gemeinsam mit Hannes Androsch setzte er eine Verteilungspolitik in Gang, die ab einem gewissen Zeitpunkt die Leistungsfähigkeit des Staates überfordern mußte. Die Lösung war der ständige und zunehmende Vorgriff auf das erst zu erwartende Einkommen späterer Jahre, also die Staatsverschuldung. Wenn Franz Vranitzky heute der sozialdemokratische Kanzler einer Begierung ist, die vor einem Scherbenhaufen der öffentlichen Finanzen steht, fiel ihm ein unvermeidbares Schicksal zu. Er muß die nicht mehr zu vertuschenden Folgen verantwortungsloser Politik eines Vierteljahrhunderts auf sich nehmen.

Wolfgang Schüssel ist der erste OVP-Politiker, der versuchte, genau diese Situation einer Beurteilung durch die Wähler zu unterziehen. Aus diesem Grund ist die noch immer anzutreffende Meinung, er habe die Nationalratswahlen willkürlich und nutzlos provoziert, einfach falsch. Schüssel konnte mit gutem Grund hoffen, daß ihm die Bevölkerung die Legitimation für ein Herumreißen des Finanzsteuers erteilen würde. Das ist bekanntlich dann doch nicht geschehen. Zwar hat nur ein gutes Drittel der Wähler dem Bundeskanzler mit seiner beschwichtigenden Haltung recht gegeben, aber merkwürdigerweise deuten das alle so, als ob sich seine bisherige Politik durchgesetzt hätte, anstatt an den bitteren Realitäten gescheitert zu sein. Damit wurde eine Entwicklung in Gang gesetzt, die nur mehr psychologisch gedeutet werden kann.

Die SPÖ-Politiker zeigten am Wahlabend die Erleichterung jemandes, dem ein drohendes böses Schicksal erspart bleibt. Unbegreiflicherweise mündete gerade bei Vranitzky dieses Glücksgefühl in eine geradezu arrogante Haltung des Triumphes. Sein Herausforderer erschien ihm offenbar gedemütigt und gleichzeitig gezwungen, weiter mitzumachen. Die Wähler hätten ja auch die große Koalition bestätigt und einem Zusammengehen von Schwarz und Blau die verdiente Abfuhr erteilt. (Unbeantwortet bleibt freilich die Frage, warum sich eigentlich trotz des plakativ heraufbeschworenen Bürgerblock-Gespenstes mehr als die Hälfte der Wähler für ÖVP oderFPÖ entschied?).

Was nun folgen muß, gleicht dem unaufhaltsamen Ablauf einer klassischen griechischen Tragödie. Die Sozialdemokraten werden es aufgrund ihrer geschilderten politischen und auch psychologischen Verfassung vermeiden, den Realitäten ins Auge zu blicken und selbst schmerzliche Konsequenzen aus schweren Fehlbeurteilungen der Vergangenheit zu ziehen. Sie werden alles unternehmen, um in der - ihnen von ihren Wählern ja auch bestätigten - Rolle des Verteidigers von Rechten und Ansprüchen zu verharren. Die unangenehme, einem Eingeständnis des Versagens gleichkommende Rolle des Verlangens nach harten Sparmaßnahmen hingegen soll die an ihrem Ziel gescheiterte kleinere Regierungspartei übernehmen.

Schüssel wäre geradezu wahnsinnig, wenn er da mitspielte. Es entspricht einer für ihn unausweichlichen Konsequenz politischer Logik, vielmehr den Bundeskanzler und den - wenn auch neu berufenen -Finanzminister zu zwingen, aus der verteidigten Position der „Sieger" die Karten auf den Tisch zu legen. An ihm, der von der mit der Regierungsbildung beauftragten SPÖ zu Verhandlungen eingeladen wurde, liegt es danach, das für gut oder für schlecht zu befinden, was man ihm vorschlägt. Er hat die Pläne der Sozialdemokraten ja unter dem Gesichtspunkt des ihm von seinen Wählern erteilten Auftrags zu beurteilen. Dieser ist - worauf der Vizekanzler sogleich hinwies - eindeutig mit dem Staatsziel der Budgetsanierung durch unerbittliche Sparsamkeit verbunden.

Alles deutet darauf hin, daß beide nicht über ihren Schatten springen werden können. Schon, die bisherigen ersten Geplänkel der Koalitionsverhandlungen haben das gezeigt. Der Leiter des Sozialressorts wird sich weiterhin weigern, darüber nachzudenken, wie und wo man die leider notwendig gewordenen Schnitte ansetzen muß. Der ÖVP-Obmann wird wohl den Fehler nicht wiederholen, in die von diesem selbst verweigerte Bolle des Sozialministers zu schlüpfen, dabei noch dazu Fehler zu machen und die Speere auf sich zu ziehen, während das Gegenüber in „bewährter" gewerkschaftlicher Abwehrhaltung verharrt.

Zu einer Neuauflage der großen Koalition kann es daher nur dann kommen, wenn sich die SPÖ dazu durchringt, ihre Hauptaussage im Wahlkampf, man wolle „gerecht sparen", in eigene, ganz konkrete und wirklich ausreichende Konzepte des Handelns umzuformen. Geschieht das -und es erscheint unwahrscheinlich -nicht, wird die ÖVP die Beteiligung an der Regierung verweigern müssen. Was dann passiert, steht in den Sternen.

Eine schwarz-blaue Koalition erscheint nach den unfaßbaren Anbiederungen des Dr. Haider an die ehemalige Waffen-SS höchst unwahrscheinlich; sie wäre allenfalls bei einem persönlichen Fernbleiben des freiheitlichen Obmannes möglich. Eher noch schiene eine sozialdemokratische Minderheitsregierung denkbar, die von anderen Parteien unter paktierten Rahmenbedingungen bei gleichzeitig stark vergrößertem parlamentarischen Spielraum geduldet wird. Sicher ist jedenfalls, daß eine Periode extremer Instabil-tät droht. Sie wird allen verantwortlichen Kräften, besonders aber unserem Bundespräsidenten, viel abverlangen, um das österreichische Staatsschiff weiterhin auf sicherem Kurs zu halten.

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