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In zu deutlicher Erinnerung ist noch jene zwanzig Jahre zurückliegende Zeit, da eine Handvoll Land-bündler und „Völkischer“ als „Zünglein an der Waage“ einen demoralisierenden Zwitterzustand herbeiführte, der Parlamentarismus und Demokratie in ihrer Wurzel angriff. Es ist nichts mit dem „Zünglein an der Waage“. Nur der Gedanke an eine zweite Auflage flößt Widerwillen und Protest ein.

F. Funder, „Furche“, 21. IV. 1951

Der neue Landeshauptmann von Oberösterreich wird wieder Doktor Heinrich Gleißner heißen! Wer den seit mehr als drei Jahrzehnten mit der „kleinen Unterbrechung“ der sieben Jahre des Dritten Reiches in seiner oberösterreichischen Heimat souverän waltenden Landesvater so schätzt wie dieses Blatt, wird sich über diese Nachricht gewiß freuen.

Dr. Gleißner wird jedoch diesmal nicht, so wie bisher, durch ein einmütiges Votum des Landtages in sein hohes Amt gerufen werden. Den 23 Stimmen „seiner“ Volkspartei werden die 23 Nein-Stimmen der gestärkt in den Landtag zurückgekehrten und sich um den Erfolg geprellt wähnenden oberösterreichischen Sozialisten die Waage halten. Die von vier auf zwei Sitze halbierte Fraktion der Freiheitlichen wird jedoch den Ausschlag zugunsten Dr. Gleißners geben. Das ist nichts „Undemokratisches“, aber ein nicht zu übersehender Schönheitsfehler.

Nichts wird in der Politik geschenkt. Auch die zwei Stimmen der freiheitlichen Fraktion nicht, die diesmal Gelegenheit bekam, endlich ihren alten Traum, Zünglein an der politischen Waage zu spielen, verwirklichen zu können. Was war der Preis? So fragen nicht wenige. Doktor Gleißner weiß sie zu beruhigen. „Es wurde nichts verkauft, was weltanschauliche oder staatspolitische Substanz betrifft, Forderungen in diesen Belangen wurden zurückgewiesen.“ Aus dem der FPÖ erfüllten „Wunschkatalog“ beunruhigte vor allem die Übergabe des bisher von einem Vertreter der katholischen Lehrerschaft verwalteten amtsführenden Präsidenten des Landesschulrats an einen Vertreter der freiheitlichen Lehrerschaft, öffnet man nicht dadurch die Schulen Oberösterreichs deutschnationalen Einflüssen? Verschiedene Proteste, unter anderem die der christlichen Lehrerschaft Oberöster-reichs, haben diese Sorge akzentuiert. Dr. Gleißner widerspricht ihr nachdrücklich. Er bietet seine Person als Garantie. Er erinnert daran, daß der Landeshauptmann ja der eigentliche Präsident des Landesschulrats sei, daß er jeder Sitzung präsidieren könne, daß er jede sachliche und persönliche Entschei-

dung letzten Endes an sich zu ziehen berechtigt sei. Die Frage bleibt dann nur, warum die Freiheitlichen ausgerechnet dann Wert auf diese Position gelegt haben. Die letzte Antwort darauf, ob die angemeldeten Besorgnisse zu Recht bestehen, mag hier die Zukunft geben.

Diese allein kann auch darüber Auskunft erteilen, ob Dr. Gleißner mit seinem Optimismus recht behält, daß es ihm binnen kurzer Zeit gelingen wird, das sprichwörtlich gute Klima zwischen Volkspartei und Sozialisten in Oberösterreich wiederherzustellen. Mit seinem Elan und seinem Charme mag Doktor Gleißner dies sogar noch einmal schaffen. Allein, Dr. Gleißners Ausstrahlungskraft endet an der Er.ns. Genauso wie die Bundespolitik den Wahlen in Oberösterreich ihren Stempel aufgedrückt hat. so mag der „Linzer Pakt“ zwischen ÖVP und FPÖ wieder nicht chne Rückwirkungen auf die Bundespolitik bleiben. Die Folgen für die nahe Zukunft lassen sich leicht ausrechnen. Weitere Verhärtung der Fronten zwischen Regierung und sozialistischer Opposition, Auftrieb für jene Kreise in der SPÖ. die einer schärferen Tonart das Wort reden, und, last not least, im Spiegelbild davon: Die Ermunterung jener Schichten in der Volkspartei, die das, was jetzt in Linz geschehen ist, schon lange auf der Bundesebene spielen möchten. Die Stimmenverluste der Volkspartei bei den letzten Wahlen geben jenen Bemühungen noch Auftrieb, die 1970 ein eventuelles Abbröckeln der absoluten ÖVP-Mehrheit durch ein rechtzeitiges „Einkaufen“ der FPÖ wettmachen möchte. Eine solche Mehrheit — so sie überhaupt zustande kommt — wäre eine sehr problematische Mehrheit. Darüber hinaus würde sie einer schwachen Minderheit, die zwar unter ihrem jetzigen Obmann Peter manche geistige Lockerungsübung unternommen hat, der es aber immer wieder schwerfällt, in ihrer Gesamtheit aus dem Schatten einer unguten Vergangenheit herauseutreten, ermöglichen, eine Schiedsrichterrolle über die gesamte österreichische Innen-und Außenpolitik zu spielen.

„Nur der Gedanke flößt Widerwillen und Protest ein“ — so schrieb der Gründer dieses Blattes, als diese Überlegungen das erstemal in der österreichischen Nachkriegspolitik auftauchten. Daß eine „kleine Koalition“ nach wie vor heftige Widerstände in den Kernschichten der ÖVP, denen gegenüber im Zeichen des politischen Pendlertums mehr Rücksicht zu üben sehr angezeigt wäre, auslösen durfte, darüber sind sich die Protagonisten' einer Verbindung VP-FP klar. Deshalb empfehlen sie auch eine Art „Koalition durch kleine Schritte“. Zum Gewöhnen der Öffentlichkeit. Da eine gemeinsame Bürgermeisterwahl, dort eine „Heimatliste“, dann vielleicht eine „Parlamentskoalition“ und erst zum Abschluß eine Abschlagszahlung am Regierungstisch.

Selbstverständlich wird laut dementiert werden, daß solches in den Bereich der politischen Möglichkeiten gerückt ist. Doch jeder nicht mit Scheuklappen behaftete Beobachter der politischen Szene wird schon bald merken, wohin die Marschrichtung zielt.

So gesehen, wollen wir, so sehr wir Dr. Gleißner zu seiner Wiederwahl gratulieren, hoffen, daß nicht in Linz eine Weiche gestellt wurde, die zu einer weiteren Polarisienmg und Radikalisierung der österreichischen Innenpolitik führt.

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