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Wir lieben dich, Vaterland

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Vor 20 Jahren schlug die Geburtsstunde der Zweiten Republik. Dieses Tages zu gedenken, sind wir hier, denn an ihm erwies sich, daß in der tausendjährigen Geschichte Österreichs der Verlust unserer staatlichen Existenz in dem für tausend Jahre geplanten Dritten Reich nur eine kurze geschichtliche Episode war. Dem Festredner aber bieten sich für die Gestaltung seiner Rede viele Möglichkeiten. Er könnte eine Aufzählung historischer Ereignisse versuchen, die jedoch hinlänglich bekannt sind. Er könnte für die allzu Vergeßlichen eine Fülle großartiger Leistungen von Regierung und Parlament aufzählen, die den Weg Österreichs aus dem totalen Chaos des Jahres 1945 bis zur heutigen Feierstunde eindrucksvoll markieren.

Allerdings: einige entscheidende Tatsachen werden in Erinnerung zu rufen sein, weil sie nicht in Vergessenheit geraten dürfen. Aber eigentlich möchte ich alle jene Kritiker bewußt enttäuschen, die anläßlich der bevorstehenden Jubiläumsfeiern eine öde Selbstbeweihräucherung der Politiker voreilig prophezeiten. Hier soll deshalb eine politische Analyse erfolgen — nötig gerade jetzt, angesichts der jüngsten Ereignisse, bei denen ein Todesopfer zu beklagen war —, eine Auseinandersetzung mit dem sogenannten Unbehagen an unserer Innenpolitik, von dem soviel geschrieben wird, sowie dem angeblich Unbewältigten aus unserer Vergangenheit, denn tatsächlich, was nützen uns auf die Dauer sozial-und wirtschaftspolitische Erfolge, wenn der ganze glänzende materielle Überbau auf einem brüchigen Fundament ruhen würde!

Wir müssen den üblen Dunst von Schlagworten entnebeln, zu Unrecht verschobene Gewichte rückverschieben, um echte Perspektiven zu gewinnen. Welches Forum wäre hiezu geeigneter als das Parlament? Erwarten Sie daher keine ölglatte Festtagsrede, sondern eine Rede, die. •das ausspricht, was-im.gemeinsamen . Staatsinteresse ausgesprochen- werden muß. Eine solche Analyse erfordert den Mut zur Selbstkritik. Wir Abgeordnete wollen diese üben, weil wir uns mitschuldig fühlen an manchen Versäumnissen der Vergangenheit; wir üben sie aber auch deshalb, weil Selbstkritik diesem Hohen Hause die moralische Autorität zur Kritik an anderen gibt, die ebenso wenig verschwiegen werden darf. Denn nicht nur Politiker und Parteien haben meinungsformende Kraft, erzeugen oder entkräften das öffentliche Unbehagen an der Politik, sind mitverantwortlich für die Bewältigung der Vergangenheit, sondern auch die modernen Massenmedien Presse, Rundfunk und Fernsehen — sie alle, wir alle, können Hochstimmung und Mißstimmung des Volkes, vor allem der unerfahrenen Jugend, hinauf- und hinunter-

„Das Haus, das wir gebaut haben“ spielen, ein staatliches Fundament zersetzen oder festigen. Die Freiheit des Wortes verlangt nun einmal die Zensur durch das eigene Gewissen. Gerade ein mutiges Bekenntnis wird aber auch die Erfolge der letzten 20 Jahre noch viel eindrucksvoller als echte Erfolge und nicht als Potemkinsche Dörfer sichtbar werden lassen.

Nun zu den Fakten, die nie vergessen werden dürfen! Am 27. April 1945 hatten die Vorstände der politischen Parteien den staatsgründenden Akt gesetzt, ohne Gesetz und Auftrag, denn noch gab es keinen Staat, in dessen Rechtsordnung eine Gesetzwerdung juristisch vorgesehen war. Dies war nur möglich, weil die heute viel gelästerten politischen Parteien nicht neben dem Volk agierten, gleichsam als Schauspieler auf einer Bühne vor einem satten, uninteressierten Zuschauerraum sondern weil sie selbst identisch waren und sind mit tragenden traditionellen politischen Kräften dieses Landes. Politische Tarockpartien können vielleicht geistreich kritisieren, aber nicht aus dem Chaos einen Staat begründen.

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