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Ehe mit programmierten Seitensprüngen

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Schon in den Rerichten über die Verhandlungen zur Bildung der neuen Stadtregierung tauchte hartnäckig das Wort vom „Todeshauch” auf. Das sollte zu denken geben. Wäre nicht heute die faszinierende Chance vorhanden, verkrustete Machtstrukturen des jahrzehntealten „roten Wien” aufzubrechen und mit einem lebendigen Wettbewerb der Ideen demokratisches Neuland zu gewinnen?

Die Voraussetzungen für einen solchen Qualitätssprung sind freilich denkbar schlecht. Die Mehrheit der Wiener will einen Machtwechsel, aber dafür wurde keine Richtung vorgegeben. Von Anfang an aber lag eine rot-schwarze Koalition nahe - auch aufgrund der Inhomogenität der anderen Parteien, die überdies zum Teil weder regierungsgewohnt, noch wirklich regierungswillig sind. Dieses Bündnis ist aber von vornherein als eines der Verlierer abgestempelt und droht zum Filialbetrieb einer sich immer mühsamer dahinschleppenden Bundeskoalition zu werden.

Einem solchen katastrophalen Image auszuweichen, ist schwierig. Es würde eine SPÖ voraussetzen, die bereitwillig den Tadel ihrer Wähler annimmt und die schmerzlichen Verluste bisherigen Einflusses akzeptiert. Die Volkspartei wiederum müßte kraftvollen Veränderungswillen zeigen. Ihr künftiges Mitreden sollte dadurch legitimiert sein, daß sie ein attraktives Paket von Neuerungen durchsetzt, für dessen Realisierung die Wähler ihr einen Auftrag gaben. Auf beiden Seiten liegen die Dinge aber anders. Die Wiener Sozialdemokraten sind schwer verunsichert und suchen die Ursache ihrer Niederlage offenbar nicht zuerst bei sich selbst; die ÖVP ist in sich uneins und trägt . seit Jahren langweilige Rlässe AVofür sie wirklich kommunalpolitisch kämpft, weiß so gut wie niemand. Bernhard Görg als Leitfigur mag seine Qualitäten haben, aber ein politisches Talent ist er sicher nicht.

Was auch immer herauskommen wird - ein Neubeginn, der Hoffnungen weckt, wird es wohl nicht sein. Daran können auch gute Vorhaben nichts ändern: die verstärkte Förderung von Eigentumswohnungen und Betriebsansiedlungen, Privatisierung, Entbürokratisierung und mehr Selbständigkeit für die Bezirke. Das

Publikum sieht ohnedies nur das Ringen um Posten und Pöstchen. Niemand kann heute mehr den Unfug der sogenannten „nicht amtsführenden Stadträte” verstehen. Auch diese Konstruktion - die Stadtverfassung schreibt die Reteiligung aller Parteien an der Regierung vor, doch gibt man ihnen keine Amtsgewalt - war Folge des bisherigen Machtmonopols. Da kann auch die Festlegung eines „koalitionsfreien Raums” nur trügerische Hoffnungen wecken. Eine Eheschließung mit programmierten Seitensprüngen ist unter den gegebenen Voraussetzungen als leichtfertig zu beurteilen.

„Wien ist anders”: Dieser an sich nette Slogan hat sicher seine Rerech-tigung. Er stimmt aber ganz und gar nicht, was die Ruhne der Politik betrifft. Die Rundeshauptstadt ist hier einfach Abbild einer gesamtösterreichischen Misere. Die politischen Kräfte haben noch immer nicht verstanden, daß der Ubergang zum Viel-parteienparlamentarismus ein totales Umdenken erfordert. Mandate sind nicht mehr eine Legitimation, sich Macht und Posten mit mathematischen Kunststücken aufzuteilen. Solches Vorgehen wird als Mißachtung des Wählerwillens aufgefaßt, als Kunstgriff, um dem möglichst auszuweichen, was sich in den Köpfen und Herzen der Rürger abspielt. Wir haben noch viel dazuzulernen. Sonst werden wir den „Todeshauch” so bald nicht los.

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