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Mit seinem Romandebüt "Engelszungen" eroberte der bulgarisch-österreichische Schriftsteller Dimitré Dinev die Herzen von Publikum und Kritik im Sturm. So ließ der Deuticke Verlag rasch einen Erzählband folgen: "Ein Licht über dem Kopf" versammelt vor allem frühe Erzählungen Dinevs, die bereits 2001 in der "edition exil" unter dem Titel "Die Inschrift" publiziert wurden. Auf dem Cover damals eine Schwarz-Weiß-Fotografie - darauf der Autor im fröhlichen Sprung mit ausgebreiteten Armen, in einem schwarzen wehenden Mantel. Selbst die herbstlich kahlen Bäume im Hintergrund tun dem sonnigen Eindruck des Bildes keinen Abbruch: Ein Autor, der die Welt umarmen möchte.

Im Sarg nach Österreich

Die Helden seiner empathischen Erzählungen sind Aus- und Einwanderer. Lazarus zum Beispiel, der in einem Sarg über die Grenze nach Österreich geschmuggelt wird und darin viel Zeit hat, über seine Vergangenheit nachzudenken. Der Weg des Sohnes einer Romni führt aus einem kleinen Dorf nach Plovdiv. Parallel zum Aufruhr der politischen Wende gerät Lazarus' Leben nach und nach aus den Fugen. Als ob beschauliches Familienglück einfach nicht in diese Zeiten passen würde, verfällt er seiner Geliebten, braucht Geld, beginnt nach Jugoslawien zu pendeln, um Waren aller Art zu verkaufen, bis irgendwann auch dort nichts mehr so ist wie früher. Seine Geliebte verlässt ihn, seine Frau hat er schon lang verloren, seine Eltern seit 21 Jahren nicht mehr besucht. Wenn niemand mehr da ist, der dir hilft zu spüren, wer du bist, was bleibt da außer Flucht und der Hoffnung auf eine Wiedergeburt irgendwo ganz anders. "Lazarus, komm heraus!' Eine laute Stimme weckt ihn. Jemand tritt mit dem Fuß gegen seinen Sarg. Der erbebt. Wir sind da. Wir sind in Österreich!', hört er."

Ein anderer Held, Spas, lebt schon lange in Wien. Der erste Satz, den er auf Deutsch gelernt hat, ist: "Ich suche Arbeit." Dass nicht alles gut wird, sobald eine solche gefunden ist, lehrt eine der gelungensten Geschichten des Bandes "Die Totenwache": Dem Bauarbeiter Nikodim fällt ein Kübel Mörtel auf den Kopf; er "hatte noch den Geschmack von Extrawurstsemmeln im Mund, als er die Welt verließ, um die längste Mittagspause zu genießen, bevor er vor dem größten aller Baumeister erscheinen sollte." Die Schilderung der Totenwache seiner Freunde, die sich in ihrer Trauer hoffnungslos betrinken, den toten Nikodim zu sich an den Tisch setzen, Roma-Musiker einladen ihm aufzuspielen, sich selbst in den Sarg legen um den Tod zu probieren und zuletzt mit ihrem verschiedenen Freund durch die Wohnung tanzen, diese Schilderung ist wunderbar grotesk, verzweifelt, komisch und innig.

Aus dem thematischen Rahmen von Fluchtbewegungen der jüngeren Vergangenheit fällt die scheinbar einem anderen Jahrhundert entstiegene Erzählung "Die Handtasche". Diese Tasche wird auf Betreiben eines vor Liebe und Eifersucht rasenden Polizeiinspektors in den 1920er Jahren aus der Haut von zwölf Revolutionären für seine Geliebte gefertigt. Sie wandert wie in anderen Geschichten die Protagonisten durch viele Länder, bis sie in den 90er Jahren Wien erreicht und einem Mädchen, das der Tod seiner Mutter stumm gemacht hat, ins Leben zurückhilft.

Seltsam alt

Dinevs Stil, sein Ton, der Rhythmus seiner Sprache sind seltsam "alt". Von Gogol bis Márquez reichen die Assoziationen der Kritik. An dieser Stelle sei Josef Roth hinzugefügt. Es ist vor allem eine Eigentümlichkeit in Dinevs Satzbau, die den Vergleich z.B. mit Roths "Leviathan" hervorruft: In seinem Anspruch, die Welt als Ganzes zu erzählen, arbeitet Dinev gerne mit Gegensatzpaaren - wenn etwa Lazarus' Vater mit den Bauern "traurige und lustige Lieder" singt und "unter Lachen und Tränen zur Bushaltestelle begleitet" wird. Licht und Schatten werden in kurzen kräftigen Sätzen vereint. Dinev erzählt organisch, bildreich und in der Nähe zu seinen ohnmächtigen und ausgelieferten Figuren auch politisch. Die Qualität der Texte basiert auf seiner ungemein lebendigen Anverwandlung osteuropäischer literarischer und oraler Erzähltraditionen.

Ein Licht über dem Kopf

Erzählungen von Dimitré Dinev

Deuticke Verlag, Wien 2005

185 Seiten, geb., e 18,40

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