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Kein Glück mit Gluck

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Zum erstenmal seit ihrer Gründung im Jahre 1898 wurde Glucks „Orpheus und Eurydike“ in den Spielplan der Volksoper aufgenommen. Auch für größere und leistungsfähigere Bühnen bietet diese Oper Probleme genug, und zwar nicht nur der Besetzung und der Ausstattung, sondern auch des Stiles wegen. Das Spannungsfeld von Glucks Aktionen und Personen sei durch zwei Zitate eingekreist. Cal- zabigi, Glucks getreuer Librettist mit der abenteuerlichen Vergangenheit (der gebürtige Livornese hatte mit Casanova in Paris ein Lotterieunternehmen geleitet und war als Finanzbeamter in Wien gelandet), schrieb einmal: „Gluck liebt die mächtigen Leidenschaften auf ihrem Siedepunkt, auf der Höhe ihres Ausbruchs, er liebte den theatralischen Tumult.“ Und Franz Liszt spricht von einer gewissen Verwandtschaft, welche das Anhören von Glucks Musik mit dem Anschauen antiker Bildwerke gemein hat. „Hier wie dort Schönheit der Formen, zauberische Anmut der Umrisse, dieselbe Ruhe und Kraft, dieselbe imponierende und doch so anziehende Wirkung, welche uns erhebt, indem sie uns führt.“

Die Neuinszenierung in der Volksoper war dem Dirigenten Lovro von Matačič an vertraut. Er ist in diesem Metier zwar kein Neuling (Matačič hat insgesamt 15 Opern inszeniert, darunter auch schon Glucks Orpheus), wohl aber ein Außenseiter. Dasselbe gilt, jedenfalls mit Bezug auf Gluck, auch von dem Bühnen- und Kostümbildner Petar Pašič. Beiden kann man guten Willen und höhere Ambitionen bescheinigen; sie haben das Werk nicht auf die leichte Schulter genommen. Aber es war für sie zu schwer. Gleich zu Beginn der Auftritt des großen Chores war gut gemeint, wirkte aber in seiner Stummheit, ohne Musikbegleitung, wie der Anfang einer Stellprobe. Und während der prächtigen Einleitungstakte schoben sich die zwei mächtigen, fast bis zur halben Bühnenhöhe reichenden und das ganze Bühnenbild dominierenden Blöcke auseinander. Das war ein nichts Gutes verheißender Anfang, dem weitere regiäliche Ungeschicklichkeiten folgten, von denen der in die Unterwelt emporsteigende Orpheus die augenfälligste war. Und wenn durch Zusammenrücken der beiden Blöcke die Liebenden getrennt werden, geschieht das so, daß man fürchten muß, Eurydike könnte sich im letzten Augenblick die Finger einklem- men.

Sehr angenehm und anmutig, mit dem Charme der Spröden ausgestattet, war Milka Nistor als Orpheus. Ihre schöne, nicht in allen Lagen gleichermaßen tragfähige Stimme wirkte etwas angestrengt. Gerlinde Lorenz ist stimmlich — obwohl im Ausdruck recht konventionell — der wesentlich kleineren Partie der Eurydike gewachsen, hatte aber in dieser Partie keinerlei persönliche Ausstrahlung. Mary O’Brien war durch ihre neckische Kostümierung (als Baby Doll) von vornherein sehr gehandikapt, obwohl sie den Amor untadelig sang. Wohleinstudiert waren auch Chor und Orchester. Leider hielt Matačič das letztere — wahrscheinlich in- der Sorge, ja nicht „grob" zu werden — zu einem recht gleichmäßigen und auf die Dauer den Zuhörer ermüdenden Musizieren an. — Klassik als „gepflegte Langeweile“ war auch das große Mißverständnis der Choreographin Janine Charrat, von der wir in Wien schon mehrere interessante und inspirierte Ballette gesehen haben. Aber hier, in den Tänzen der Klagefrauen, im Hades und im Elysium, war von allem dem nichts zu verspüren.

Das Premierenpublikum würdigte die Anstrengung aller Beteiligten und applaudierte Milka Nistor nach ihrer großen Arie ausdauernd und dankbar wenigstens für diesen einen Lichtblick innerhalb einer im ganzen wenig begeisternden, überlangen Aufführung.

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