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Bagatelle mit Schülern

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Die Idee, die Aufnahmsprüfung in die allgemeinbildenden höheren Schulen entfallen zu lassen, ist ein alter Hut. Älter, als es der öffent- , lichkeit wahrscheinlich bekannt ist. Ende 1969 und Anfang 1970 wurden Unterkommissionen der Schulreformkommission mit diesem Thema befaßt und in der Sitzung der Hauptkommission am 9. Juni 1970 wurde endgültig die Abschaffung der Aufnahmsprüfung in die AHS empfohlen.

Damit hatte die Kommission den Ball an das Unterrichtsministerium abgegeben. Der Unterrichtsminister aber — so hat es den Anschein — schien von all dem nichts zu wissen. Es wäre nun seine Aufgabe gewesen, einen Gesetzentwurf ausarbeiten zu lassen, um schließlich die Empfehlung, die übrigens von nahezu allen Seiten Zustimmung fand, noch vor dem Beginn des Schuljahres 1971/72 auf eine gesetzliche Basis zu stellen. Gratz hätte aber schon damals Präventivmaßnahmen einleiten können; denn es lag auf der Hand, daß • mit dem Entfall der Aufnahmsprüfung auch mit einem größeren Andrang an die AHS zu rechnen ist;

• der ohnedies knappe Schulraum daher nicht ausreichen wird, obwohl die gesetzlich vorgeschriebene Maximalzahl von 36 Schülern pro Klasse ohnedies kaum noch eingehalten wird;

• der Lehrermangel dadurch akut wird.

Tatsache ist, daß man die Probleme bei der Sitzung der Schulreform- kommiission zwar angeschnitten hat, daß aber wieder nichts geschah. Nach einem vierteljährigen Winterschlaf erwachte das Unterrichtsministerium und erinnerte sich nun der offenen Fragen und Probleme. Jetzt ging alles drunter und drüber. In einem Blitzverfahren wurde die 4. Schulorganisationsgesetz-Novelle, die sich auch mit der Thematik der Aufnahmsprüfung befaßt, fertiggestellt und ausgesandt. Die Mitglieder der Schulreformkommission, die dann für den 28. Jänner einberufen wurde, hielten vielfach erst eine Woche vor dem Sitzungstermin den Gesetzentwurf in Händen.

Es war ihnen daher in den meisten Fällen gar nicht mehr möglich, mit den Organisationen, die sie in der Kommission vertreten, vorher Kon takt aufzunehmen. Ein solches Vorgehen führt aber auch die Funktion des Gremiums ad absurdum.

In der Zwischenzeit waren am 27. November 1970 vom Unterrichtsministerium Erlässe ausgegeben worden, die die Entscheidung des Nationalrates teilweise präjudizier- ten. Auf eine diesbezügliche Frage im Nationalratsplenum konterte Gratz lapidar: „Das darf man gar nicht laut sagen; aber die Wahrheit ist, daß so viel heute im Schulbetrieb ohne gesetzliche Grundlage geschieht.”

Die SPÖ-Presse hingegen bemühte sich, die Probleme, die aus dem Entfall der Aufnahmsprüfung resultieren, in der Öffentlichkeit zu bagatellisieren. Vor allem hieß es, daß der Ansturm auf die AHS schon nicht so groß sein werde wie vermutet.

Den Sozialisten kommt hier zugute, daß es seit 1960 in Österreich eine Serie geburtenschwacher Jahrgänge gibt, wodurch tatsächlich eine relative Abschwächung herbeigeführt wird.

Die absoluten Werte werden aber sicher jährlich beträchtlich steigen. So wird nach den Schätzungen des

Unterrichtsministeriums selbst die Zahl der Maturanten gigantisch steigen. Die AHS werden demnach heuer 14.000 Schüler verlassen, 1975/76 18.400 und 1979/80 mehr als 24.000.

Es ist aber eine Vogel-Strauß-Politik, zu meinen, daß 90 bis 100 zusätzliche AHS-Klassen schon reichen werden und dafür 50 Millionen Schilling genügen — ganz abgesehen davon, daß man auch die überbesetzten Klassen entlasten müßte.

Ob es eine „Gleichheit der Bildungschancen” sein wird, wenn Mittelschüler demnächst in „dislocierten” Klassenzügen an Hauptschulen, womöglich aus Lehrermangel, von Hauptschullehrkräften unterrichtet werden, bleibt dahingestellt.

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