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Breite Basis der Vernunft

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Die Große Koalition liegt auch im Interesse der Glaubwürdigkeit der beiden Großparteien. Sie ist die einzige realistische Chance, die „Wende“ tatsächlich herbeizuführen.

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Die Große Koalition liegt auch im Interesse der Glaubwürdigkeit der beiden Großparteien. Sie ist die einzige realistische Chance, die „Wende“ tatsächlich herbeizuführen.

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Es gibt noch einen Grund dafür, daß die Große Koalition unter den heutigen Bedingungen für alle diejenigen die einzige Alternative ist, die tatsächlich die Lösung der dringenden Staats- und Wirtschaftsprobleme für überfällig erkennen: daß nämlich jede der beiden Großparteien für sich allein — und wäre selbst eine absolute Mehrheit noch so überzeugend ausgefallen - nicht in der Lage ist, die notwendigen Sanierungsprogramme so konsequent wie notwendig überhaupt auszuarbeiten und dann erst recht auch innerparteilich durchzuziehen.

Die Probleme, die sich aufgetürmt haben, sind die Folge der Teufelskreise und Sackgassen, in welche die Gläubigkeit in die Problemlösungsfähigkeit des Staates als Unternehmer, die Staatsverschuldung zur erhofften Erhaltung der Vollbeschäftigung sowie ein kurzsichtiger Pragmatismus (zum Beispiel die optische Senkung der Arbeitslosenziffern durch Frühpensionierung) geführt haben.

Obwohl man der ÖVP hier eine klarere Sicht zubilligen muß, war sie in der Phase des Wahlkampfes ohne jedes ordnungspolitische Profil. Die Hoffnung, daß sie nicht nur von der notwendigen Wende spricht, sondern auch weiß, worin diese im einzelnen bestehen könnte, ist nur für sehr Gutwillige wirklich glaubhaft gewesen.

Wohl sprach ihr Obmann (und fast nur er!) wiederholt von der Grundkonzeption einer Sozialen Marktwirtschaft als Basis für die künftige Wirtschafts- und Sozialpolitik. Worin diese konkret bestehen sollte, wurde aber, je näher der Wahltermin rückte, immer weniger erkennbar.

So hat ein führender ÖVP-Ar-beitnehmervertreter vor der Fernsehkamera mit größter Selbstverständlichkeit den sozialistischen Standpunkt vertreten, daß die Frühpensionierung in der Stahlindustrie zu recht verlangt würde, weil die Stahlkrise doch weltweit wäre. Die gleiche Behandlung der älteren Arbeitslosen in der Privatwirtschaft sei aber aus Geldmangel nicht zu vertreten.

Ein Argument, das in gleicher Weise sowohl jeder inneren Logik wie auch jedem Standpunkt der Gerechtigkeit und der Gleichheit vor dem Gesetz entbehrt!

Nachdem sich endlich die Erkenntnis durchgesetzt hatte, daß ein Abbau der Beteiligung des Staates an Wirtschaftsunternehmungen notwendig ist, hat ein anderer maßgeblicher ÖVP-Funk-tionär die stille Beteiligung des

Staates an privaten (auch mittelständischen) Unternehmen zur Stärkung deren Risikokapitals verlangt.

Vom plötzlichen taktischen Schwenk im Wahlkampf aus dem Takt gebracht, glaubte die ÖVP plötzlich (und vorübergehend), die immer wieder und mit Recht von ihr geforderten betriebswirtschaftlichen Konsequenzen aus dem Debakel bisheriger „Flaggschiffe“ der staatseigenen Industrie nicht mehr billigen zu können (als ob die Oppositionspartei solche Verantwortungen zu tragen hätte), bevor nicht Ersatzarbeitsplätze angeboten werden (als ob es Aufgabe des Staates wäre, solche anzubieten).

Die Wende, um die es geht, liegt in der Änderung der rechtlichen Rahmenbedingungen, die der Tätigkeit der Selbständigen wie auch der Wiederbeschäftigung Arbeitsloser derzeit noch so hinderlich sind.

Machen wir uns nichts vor: In der ÖVP sind — wie in jeder Großpartei — diejenigen, die wissen, wie eine notwendige Wende aussehen könnte und — mehr noch — die sie tatsächlich wollen, wenn Gelegenheit dazu geboten wird, eine Minderheit.

Die Mehrheit sind heute in allen Großparteien diejenigen, denen die Phantasie für zielführende Alternativen fehlt, die zum Vollzug der Wende zu beharrlich sind oder sogar am bestehenden Zustand Interesse haben.

Noch schlimmersteht es sicherlich bei den Sozialisten. Die Freiheit, die Franz Vranitzky während des Wahlkampfes in Anspruch nahm, hat zunächst die weitgehende Rückendeckung seiner Partei gefunden. Was immer aber echter Lernprozeß und was zunächst zurückgesteckte Ideologie sein möge: das Argument, daß man sich keine Wende von einer Regierung erwarten könne, in welcher die Verursacher der krisenhaften Zustände in der österreichischen Wirtschaftspolitik so stark vertreten sind, ist nicht zwingend.

Dieses Argument ist dann falsch, wenn eine ÖVP in die Regierung eintritt, die die erforderliche Wende wirklich will. Nur dann wird Vranitzky seine angekündigte Politik in der eigenen Partei durchsetzen können, wenn er von der ÖVP als Regierungspartner dazu gezwungen wird.

Dazu kommt, daß eine durch das ständige Vor-sich-Herschie-ben großer Problembereiche (Sanierung des Bundesbudgets und der Pensionsversicherung, Reform der Agrarpolitik und der Steuerpolitik, Privatisierung im

Bereich des Staatseigentums, Flexibilisierung der Arbeitsbedingungen für Selbständige und Unselbständige, Erleichterungen zur Wiedereinstellung von Arbeitslosen, Anreize für Investitionen) notwendige und gerechte künftige Lastenverteilung nur auf einer sehr breiten Basis Verständnis finden wird.

Ein solcher wohltätiger Zwang einer Koalition der Wende-Willigen auf beide Parteien funktioniert aber nur dann, wenn die verfassungsmäßige Einstimmigkeit im Ministerrat und (wenigstens in den Sanierungsgrundsatzfragen) der sogenannte Klubzwang für die beiden folgenden Legislaturperioden, die zur Lösung der dringendsten Probleme mit hoher Wahrscheinlichkeit notwendig sein werden, zunächst noch aufrechterhalten wird.

Die Große Koalition ist die einzige realistische Chance, die notwendige Wende herbeizuführen — sowohl für die ÖVP wie auch für die SPÖ. Sie ist auch die einzige Variante, die nicht nur im Interesse des Landes und seiner Bürger, sondern auch im Interesse der Glaubwürdigkeit der beiden Großparteien liegt.

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